ELISABETH HERRMANN: „STIMME DER TOTEN“


Elisabeth Herrmanns Politthriller „Zeugin der Toten“ war so grandios, dass er zu Recht den Deutschen Krimi Preis 2012 gewann. Hochspannung, authentischer Hintergrund und obendrein auch sprachlich vom Feinsten – und das gilt nun ebenso für die Fortsetzung unter dem Titel „Stimme der Toten.“
Noch immer arbeitet Judith Kepler als Cleanerin, reinigt also Tatorte, nachdem die Polizei ihre Arbeit erledigt hat. Nun schickt ihr raubeiniger Chef Dombrowski sie nächtens zu einem offenbar einfachen Einsatz. In der luxuriösen Filiale des Liechtensteiner Edel-Geldhauses CHL mitten in Berlin hat sich ein Banker aus der Chef-Etage im 7. Stock in den Tod gestürzt.
Ein Routinefall, wenn, ja wenn Judith nicht eher zufällig an der Unterseite eines Toilettenwaschbeckens im Foyer eine Blutspur entdecken würde. Als sie die noch anwesenden Polizisten darüber informiert, tritt sie ungeahnt eine wahre Lawine los. Zunächst aber macht die psychisch von Traumata aus der Kindheit verfolgte Mittdreißigerin jedoch ausgerechnet auf den schnell erscheinenden Bank-Chef Harras einen derartigen Eindruck, dass er sie und ihr Team als künftige Reinigungstruppe bei Dombrowski anfordert.
Während vor allem die Leser, die Judith Keplers Vorgeschichte aus heiklen DDR-Zeiten nicht kennen, durch Einblendungen die nötigen Informationen erhalten, offenbaren sich Ansätze dessen, was es mit dem Todesfall im Foyer der CHL-Bank auf sich hat. Ein Akt des Terrorismus von kontinentalen Ausmaßen ist in Vorbereitung. Nicht mit Waffen oder Bomben sondern per Internet: „Sie hacken keine Bank. Sie hacken Europa.“
Kopf der Verschwörer ist der angegraute Gangster mit Stasi- und KGB-Vergangenheit Bastide Lacan. Wobei selbst er, der Skrupel nicht kennt, überrascht ist von dem wahren Ausmaßen dessen, was sein raffiniert getarnter Auftraggeber da vorhat. Nicht weniger als die Destabiliserung Europas zugunsten Russlands soll es bewirken. Und Judith erhält eine wichtige Rolle in diesem raffinierten Spiel.
Natürlich nicht freiwillig, doch ihr frisch erworbener Zugang zur CHL ist so verlockend, dass Bastide sie dafür rekrutiert. Und er hat das nötige Druckmittel, denn er weiß überraschend viel von ihrer Vergangenheit unter anderer Identität und sogar Dinge, die ihr noch immer schleierhaft sind über die Rolle ihrer Eltern und die Gründe für deren Ermordung.
Hinzu kommt als ebenso geheimnisvolle wie authentische Nebenhandlung ihre Sorge um die neunjährige Tabea, die sie ausgerechnet in ein Nazi-Dorf in Mecklenburg-Vorpommern zu deren dort lebenden Vater bringen will. Auch das macht sie gefügig und zu einem Spielball in dem infernalischen Reigen, der sich nun entwickelt. Die Dimensionen explodieren geradezu, als nun auch noch die extrem kaltblütige Schweizer Spezialagentin Martina Brugg hinzustößt und selbst Bastide Lacan allmählich die Regie entgleitet.
Judith ihrerseits geht einerseits fast unter, andererseits kommen ihr ausgerechnet alte Chargen aus jenen dunklen Tagen in Sassnitz zur Hilfe, denn beim BND wissen einige Leute anscheinend mehr, als die Strippenzieher ahnen. Also – ein atemberaubender Show-Down bahnt sich an und Judith Kepler mittendrin.
Fazit: exzellent konstruiert und bis in die Nebenrollen mit starken Typen besetzt, ist auch das neue unfreiwillige Abenteuer der schillernden Judith Kepler ein absolutes Meisterwerk des Genres geworden. Und selbstredend ebenso filmreif wie der erste Fall.

# Elisabeth Herrmann: Stimme der Toten; 540 Seiten; Goldmann Verlag, München; € 20

 
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

Dieses Buch bei Amazon.de bestellen. 


Kennziffer: BEL 1282 - © Wolfgang A. Niemann - www.Buchrezensionen-Online.de