EDWARD DOCX: „AM ENDE DER REISE“


Am Anfang seines neuen Romans führt der britische Erfolgsautor Edward Docx in den Fährhafen von Dover. Dort wollen sich Louis und sein Vater Larry mit genau jenem 80er-Jahre VW-Campingbus einschiffen, mit dem die Familie so manchen gern erinnerten Urlaub unternommen hat.
Doch diesmal hat die Reise ein ganz anderes Ziel, denn der 71-jährige Vater leidet schwer an ALS und will zur Dignitas in Zürich, da in Großbritannien Sterbehilfe verboten ist. „Am Ende der Reise“ lautet der Titel des Romans und dies soll ein letzter Roadtrip werden. Lou und sein alter Herr hatten immer eine besondere Beziehung, wie schon die vor einigen Jahren verstorbene Mutter stets bemerkte.
Lou tut sich zwar schwer mit der Entscheidung seines Vaters, akzeptiert sie aber irgendwie. Seine elf Jahre älteren Halbbrüder Ralph und Jack dagegen anscheinened weniger. Allerdings ist das Verhältnis der sehr verschiedenen Zwillinge zu Larry ohnehin spürbar angespannt. Zu heftig war seinerzeit die Trennung von ihrer Mutter, als der Vater sich unsterblich in die russisch-stämmige neue Frau verliebte und sie später dann auch heiratete.
Um so überraschter sind Lou und Larry, als die Beiden auf dem Kontinent doch noch zu ihnen stoßen. Und hier reisen nun vier wahrlich sehr unterschiedliche Charaktere zu Orten, die der Vater noch einmal wiedersehen möchte. Da ist der beziehungsscheue Ralph mit seinen philosophischen Anwandlungen, wogegen Jack ganz in seiner vielköpfigen und recht chaotischen Familie aufgeht. Ich-Erzähler Lou dagegen bedauert, dass er dem Todkranken seine erste Freundin vorenthalten hat.
Natürlich kommt es zu intensiven Gersprächen und so manches Unausgesprochene oder auch Geheimnis wird aufgedeckt. Offenbar war der Vater als Universitätsdekan für englische Literatur nicht nur sein Leben lang ein ungeheuer wissbegieriger Mensch sondern auch ein sehr dominantes Familienoberhaupt. Nun jedoch gibt es reichlich Gelegenheit, diverse Meinungsverschiedenheiten auszutragen. Oder beim Essen und Trinken miteinander zu philosophieren und auch zu lachen.
Es entstehen intensive Passagen und auch das Für und Wider dessen, was der bereits schwer gezeichnete Larry vorhat, steht immer immer wieder im Mittelpunkt: kann man Vaters Sterbehilfe unterstützen, obwohl man das Vorhaben nicht befürwortet? Und das ist das Faszinierende an diesem wohltuend ruhig erzählten Roman, dass das Geschehen trotz des so tiefernsten zentralen Themas nicht in Trauer oder Dunkelheit versinkt. Stattdessen darf auch herzhaft gelacht werden, denn mag das Alles auch sehr berührend sein, es besticht zugleich mit Lebenszugewandtheit und wiederholten knackig humorigen Einsprengseln.
Dank der Prosa im Präsenz entsteht zudem eine besondere Nähe und Unmittelbarkeit. Fazit: ein ernstes Thema wird hier ohne erdrückende Erdenschwere zu einer wunderbaren Familiengeschichte, die lange nachhallt.

# Edward Docx: Am Ende der Reise (aus dem Englischen von Anna-Christin Kramer und Jenny Merling); 508 Seiten; Kein & Aber Verlag, Zürich; € 25

 
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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