JOHN BOYNE: DER JUNGE AUF DEM
BERG
In seinem jüngsten Jugendroman widmet sich der irische Erfolgsautor John Boyne der
Verführbarkeit in ganz jungen Jahren. Doch wie man es von ihm kennt, siedelt er die
Geschichte nicht irgendwo an sondern in einer besonderen Phase der Zeitgeschichte und an
einem Schauplatz, wie er ungewöhnlicher kaum sein könnte.
Der Junge auf dem Berg lautet der Titel und dieser Kleine erlebt eingangs
bittersüße Kinderjahre. Er wohnt mit seiner französichen Mutter und dem deutschen Vater
in bescheidenen Verhältnisse in Paris. Der beste Freund und fast wie ein Bruder ist der
gleichaltrige Anshel, ein tauber jüdischer Junge.
Doch schon kurz nach seinem vierten Geburtstag sieht dieser Pierrot Weber seinen Vater zum
letzten Mal. Nachdem er wegen seiner quälenden Erinnerungen aus dem Ersten Weltkrieg im
betrunkenen Zustand die Mutter verprügelt hatte, setzt er sich in die süddeutsche Heimat
ab, wo er bald unter zweifelhaften Umständen stirbt. Aber auch die Mutter verliert der
Junge bald, denn ein plötzlich ausbrechender Lungenkrebs rafft sie dahin.
So landet der schmächtige Junge in einem Waisenhaus mit allen unerfreulichen
Begleiterscheinungen. Um so glücklicher muss ihm die unverhoffte Wendung erscheinen, als
sich seine Tante Beatrix meldet, um ihn zu sich zu holen. Was den jetzt Siebenjährigen
ins Berchtesgardener Land führt, wo Tante auf dem sogenannten Berghof als
Hauswirtschafterin arbeitet.
Man schreibt jedoch das Jahr 1936, das Deutsche Reich brodelt vor nationalistischer
Aufbruchstimmung und dieser Berghof ist tatsächlich der bald schon legendäre Sommersitz
von Adolf Hitler. Natürlich herrscht hier ein strenges Regiment und Pierrot heißt nun
gefälligst Peter, aber mit dem Deutschtum hat er kein Problem, denn der Vater hatte sich
oft als Patriot geäußert.
Entscheidend jedoch ist die Begegnung mit diesem besonderen Herren des Berghofs, dessen
charismatisches Fluidum Peter total gefangen nimmt. Der Geist dieses Hauses, die Magie
dieses Mannes und das faszinierende Ambiente samt höchst illustren Gästen John
Boyne schreibt hier vor sehr realem Hintergrund samt historisch echten Besuchern
nehmen den noch völlig formbaren Waisenjungen ganz und gar gefangen.
Endgültig um ihn geschehen ist es, als der Führer ihm eine Art väterlicher Freund wird.
Er schenkt ihm eine Hitlerjugend-Uniform und Peter darf sich des Führers geliebten
Schäferhundes Blondi annehmen. Der Diktator tut sich nämlich etwas schwer
mit dessen Erziehung: Ich bin einfach zu weichherzig. Und die Saat dieses
Geistesgutes gedeiht bestens bei dem Jungen, zumal all das ein verführerisches Gefühl
von Geborgenheit und Zugehörigkeit zu etwas Großartigem vermittelt.
Da ist es nicht nur ein Leichtes, den einstigen jüdischen Freund zu verleugnen, Peter
wird sogar mit schlimmen Folgen zum Verräter an seiner Tante. Ebenso schlicht wie
kunstvoll beschreibt John Boyne diese Wandlung Pierrots/Peters vom unschuldigen Kind zum
skrupellosen Täter, der der perfiden Verführung nichts entgegenzusetzen hat.
Eine großartige Parabel gerade in diesen Zeiten erneuter rechtsradikaler oder auch
fanatisch-religiöser Indoktrinationen junger Menschen. Als Jugendbuch angelegt, scheint
es jedoch frühestens ab 15 Jahre und eigentlich sogar eher für erwachsene Leser
geeignet, zumal einiges an Grundkenntnissen zu den bestens recherchierten historischen
Hintergründen des Geschehens von großem Nutzen wären.
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