DORON RABINOVICI: DIE
AußERIRDISCHEN
Sie kamen über Nacht. Gemeint sind die Außerirdischen, die angeblich die
Welt vereinnahmt haben. Ich-Erzähler Sol glaubt die Meldung sämtlicher Medien sofort,
Ehefrau Strid hält sie für einen Gag wie einst das ScienceFiction-Hörspiel von Orson
Welles, mit dem der 1938 eine Panik in den USA auslöste.
Doch das Ereignis steht am Anfang von Doron Rabinovicis jüngstem Roman Die
Außerirdischen und es setzt weit mehr in Gang als nur Chaos und Anarchie. Beinahe
wäre sogar ein Atomkrieg ausgelöst worden und Sol atmet bald erleichtert auf: Wir
waren von den Außerirdischen daran gehindert worden.
Und auch sonst scheinen die neuen Herren der Welt eher segensreich zu sein, denn kaum ist
nach ein paar Wochen die allgemeine Ordnung wiederhergestellt, wird verkündet, dass es
dank ihnen nie wieder Krieg, Hunger und Krankheiten geben werde. In die nun allgemein
ausbrechende Euphorie fällt lediglich ein Wermutstropfen: die Außerirdischen wollen als
Gegengabe Menschenfleisch.
Aber es sind trotzdem freundliche Außerirdische, denn die Menschenopfer sollen ganz und
gar freiwillig erfolgen, Selbstopferungen gewissermaßen. Obendrein lassen die
Außerirdischen die im Übrigen nie selbst leibhaftig und konkret in Erscheinung
treten den Menschen die Wahl, wie sie das bewerkstelligen wollen.
Wobei nun dem bisher eher unscheinbaren von Ich-Erzähler Sol mitbegründeten
Onlinemagazin für Gastrosophie eine dank des cleveren Moderators Albert Stern
überragende Rolle erwächst. Zur Befriedigung der Alien-Wünsche werden bombastische
Wettkämpfe ersonnen. Dazu gehören Castingshows und schließlich live übertragene
Endausscheidungen. Die Sieger werden umjubelt und die Verlierer zur garantiert
schmerzfreien Schlachtung überstellt. Selbst das erfolgt höchst menschenfreundlich, denn
die Delinquenten werden dazu zu einem letzten Urlaub auf eine idyllische Südseeinsel
verbracht und ihre Hinterbliebenen finanziell entschädigt.
Das Alles hört sich zynisch an? Aber fast alle machen mit und kaum jemand leistet
Widerstand. Der ohnehin unterdrückt wird. Bis erste Gerüchte von einem ganz anderen
Verlauf erzählen und zunächst Astrid und dann auch Sol selbst abtransportiert werden.
Womit das ohnehin bisher schon ebenso knapp und prägnant wie unentrinnbar mitreißend
geschilderte Geschehen ins Monströse übergeht mit Szenen von unfassbarem Grauen.
Denn natürlich ist dieser Roman keine ScienceFiction sondern eine bitterböse
Gesellschaftssatire und schon der in Wirklichkeit rabiate Transport zur Insel eröffnet
genau jene Szenerie, die man unter anderen Vorzeichen als Holocaust in grauenhafter
Erinnerung hat. Sol muss nun selbst erkennen, wie schnell da jede Menschlichkeit verloren
geht: Macht dir gar nichts mehr aus, auf Kosten anderer zu überleben...
Als der menschgemachte Wahnsinn endlich zusammenbricht, kommt die lapidare Meldung, dass
die nie sichtbar gewordenen Auslöser so plötzlich verschwunden seien, wie sie gekommen
waren. Und dazu die Feststellung Sols: Die Außeriridischen ekelten sich vor
uns. Den Überlebenden aber bleibt die Scham der nicht umgekommenen Opfer und dem
bis zuletzt gebannten Leser die Erkenntnis, dass der österreichisch-israelische Autor
unserer moralvergessenen Gesellschaft hier einen brillant geschliffenen Spiegel vorhält.
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