THILO WYDRA: „INGRID BERGMAN. EIN LEBEN“


Ingrid Bergman (1915-1982) zählt zu den größten Filmschauspielerinnen des 20. Jahrhunderts und natürlich gibt es etliche Biographien über den schwedischen Star. Eine solche wie die von Thilo Wydra aber gab es noch nie und es sei vorweg gesagt: sie hat tatsächlich nicht nur weitaus mehr Tiefenschärfe sondern auch viel Neues zu bieten.
„Ingrid Bergman. Ein Leben“ ist das Werk überschrieben, für das der Journalist und Filmwissenschaftler bisher unzugängliche Quellen auswerten konnte. Dazu gehörte das bisher unbekannte Privatarchiv des Weltstars ebenso wie das berühmte Ingrid-Bergman-Archiv an der Weslyan University in Middletown, Connecticut. Unzählige Briefe und Bilder konnte der Autor da begutachten.
Mindestens so aussagekräftig aber waren auch die Gespräche mit den Kindern Bergmans, di erst auf Umwegen von ihrer sonstigen Ablehnung jeglicher Interviews zum Leben ihrer Mutter abgebracht werden konnten. Gerade bei Isabella Rossellini, selbst ein veritabler Filmstar, stieß Wydra dabei auf ungehobene Schätze zum Beispiel mit den Briefwechseln mit Ernest Hemingway und Alfred Hitchcock.
Als übereinstimmende Bezeichnung dessen, was Ingrid Bergman das Wichtigste im Leben gewesen sei, hörte der Biograph nur einen Begriff: die Arbeit. Und die Kinder verbanden diese Aussage mit der unverhohlenen Klage, dass die Mutter sehr viel durch Abwesenheit geglänzt habe. Was sich mit Kindheit und Jugend Bergmans ebenso gut erklären lässt wie die innere Zerrissenheit zwischen privater Schüchternheit mit einer Mischung aus Einsamkeitsgefühl und der Selbstbestimmtheit im beruflichen Leben bis hin zu dem nach außen stets gezeigten „Hauch von Unnahbarkeit“.
Kaum bekannt war bisher, dass Ingrid Bergman eigentlich halb deutsch war durch ihre Mutter Friedl Adler, in deren Familie in Hamburg das Mädchen viele Sommer verbrachte. Die deutsche Sprache war ihr so geläufig wie das heimische Schwedisch durch Vater Justus Bergman. Das Schicksal traf das Mädchen früh sehr hart und prägend, denn bereits mit drei Jahren verlor sie die Mutter und mit kaum 14 den Vater. Herumgereicht in der Familie, verstarb dann auch noch die engste Verwandte bald darauf.
Früh flüchtete sich Ingrid Bergman in Rollenspiele und durch die Partnerin des Vaters war sie auch aufmerksam gemacht geworden auf die Möglichkeiten als Komparsin beim Film. Eingebettet in ihre einzigartige wechselvolle Filmkarriere, die sie zu legendären Filmklassikern wie „Casablanca“ und „Wem die Stunde schlägt“ führte aber auch zu drei Oscars („Das Haus der Lady Alquist“/ „Anastasia“/“Mord im Orient-Express“), schildert Wydra das bewegte Leben dieser Schauspielerin, für die Zeiten ohne Film- oder Theaterarbeit gewissermaßen Leerlauf bedeuteten.
Dreimal war sie verheiratet, wobei die zweite Ehe mit dem italienischen Regiestar Roberto Rossellini in den prüden frühen 50er Jahren als Skandal mit Auswirkungen auf ihre Karriere begann. So scheu und introvertiert sie privat war, wo sie sich von allen etwas sagen ließ, so erstaunlich bestimmt und emanzipiert bis hin zur Sturköpfigkeit erwies sie sich dagegen im Beruf. Da trat sie bereits in jungen Jahren dem herrischen Hollywood-Mogul Selznick gegenüber entschieden auf und drohte mit Abreise, als er Forderungen nach optischen Änderungen am Gesicht und nach einem anderen Namen stellte.
Wie zielgerichtet die Meisterin des Minimalismus im Mienenspiel sein konnte und wie sie wiederholt auch innovative Trends setzte, liest sich sehr fesselnd und eröffnet immer neue Aspekte einer berühmten und doch erstaunlich wenig bekannten Künstlerin mit unvergleichlicher Aura. Deren Zitat aus den späten Jahren angesichts ihrer erwiesenen Bescheidenheit seltsam anrührt: „Ich habe mir das Schauspielen nicht ausgesucht – es hat mich ausgesucht.“
Wenn diese Biographie so ungeheuer lebendig daherkommt und zugleich so authentisch, dann ist das sowohl Wydras mitreißendem Schreibstil wie auch seiner exzellenten Recherchearbeit zu verdanken. Fazit: eine großartige Biographie zu einem ebensolchen Weltstar und zugleich eine Schatzgrube für alle Filmfreunde.

# Thilo Wydra: Ingrid Bergman. Ein Leben; 752 Seiten, div. Abb.; Deutsche Verlagsanstalt, München; € 28

 
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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