PATRICK FLANERY: „ICH BIN NIEMAND“


Jeremy O'Keefe war vor Jahren als Professor für Geschichte an die Universität von Oxford gegangen, als seine Ehe wie auch die Traumanstellung daheim scheiterten. Als er nun in das arg vermisste aber auch fremd gewordene New York heimkehrt, geschehen ihm Dinge, die ihn zunächst an sich selbst zweifeln lassen.
Damit setzt Patrick Flanerys neuer Roman „Ich bin niemand“ ein. Anfangs ist es nur die Verabredung mit einer Studentin, die ihn versetzt, weil er ihr angeblich abgesagt hat. Dann scheint offensichtlich jemand sein Haus zu observieren, der sich dabei nicht mal um sonderliche Diskretion bemüht. Noch aber ist der Wissenschaftler, der als hochkarätiger Experte für die DDR und der dortigen Arbeit der Stasi gilt, nur verwirrt.
Bis als ausgesprochen böse Überraschung ein Paket ohne Absender und Poststempel eintrifft. Darin haufenweise Dokumentationen über die gesamten Telefon- und Online-Aktivitäten einschließlich seiner Kontobewegungen der letzten Jahre. In seiner Verwirrung lässt er sich erst einmal von seiner reich verheirateten Tochter überreden, eine Spezialistin aufzusuchen. Diese Neurologin findet O'Keefe zwar ausgesprochen attraktiv, ansonsten aber bleibt diese Konsultation jedoch völlig ergebnislos.
Und die Verunsicherung des intellektuellen Ich-Erzählers nimmt kontinuierlich zu. Selbst bei einem Wochenendausflug in die ländliche Abgeschiedenheit bricht die offensichtliche Bewachung seiner Person nicht ab. Aber wer ist da am Werk und warum? O'Keefe wühlt nicht nur in den Papieren seiner elektronischen Vita, er reflektiert auch immer intensiver über seine Zeit in Oxford.
Wo er zumindest auf eine Möglichkeit stößt, warum er zum Objekt der Beobachtung geworden sein könnte: die ägyptische Doktorandin Fadia, mit der ihn weit mehr verband als nur ein dienstliches Betreuungsverhältnis. Immerhin gehörte ihr Vater zum engeren Kreis um Präsident Mubarak, wogegen ihr Bruder in den Wirren des „Arabischen Frühlings“ untertauchte. Wer aber, oder vielmehr welche Institution verfolgt ausgerechnet ihn als profunden Kenner der Stasi-Methoden?
Zunehmend verrutschen dabei die Gewissheiten, wem er überhaupt noch vertrauen kann. Der Experte für Überwachung wird selbst zum gehetzten Überwachungsopfer – oder bildet sich das ein – und klagt über den unvermeidlichen Verlust allen gegenseitigen Vertrauens durch das, was da mit ihm geschieht. Zweierlei sei hier nur noch zum Fortgang der Geschichte angedeutet: es gibt einen Grund für seine Observierung und dieser Jeremy O'Keefe ist nicht so ganz der Niemand, der er vorgibt zu sein.
Das Alles ist elegant geschrieben und entfaltet eine subtile Spannung. Spürbar ist die sich bis ins Paranoide steigernde Verunsicherung durch das Offensichtliche, das so wenig zu greifen ist und die Grundlagen privaten Daseins zerrüttet. Wenn dieser nachdenklich machende Roman eine große Botschaft hat, dann die, dass die Zerstörung der Privatsphäre unweigerlich auch die Freiheit selbst zerstört.

# Patrick Flanery: Ich bin niemand (aus dem Englischen von Reinhild Böhnke); 397 Seiten; Blessing Verlag, München: € 22,99

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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