ANNIE PROULX: AUS HARTEM
HOLZ
Nach über zehn Jahren legt Pulitzer-Preisträgerin Annie Proulx wieder einen Roman vor
und der erweist sich als monumentales Meisterwerk. Die mittlerweile 81-jährige Autorin
hat selbst lange abgeschieden in den tiefen Wäldern der USA gelebt, nun widmet sie ihnen
mit Aus hartem Holz ein ganzes Epos.
Über drei Jahrhunderte zieht sich die Geschichte um die Stammväter René Sel und Charles
Duquet und ihre weit verzweigten Nachfahren bis in die Gegenwart. 1693 kommen die beiden
Hungerleider als Aussiedler nach Neu-Frankreich, dem heutigen Ost-Kanada am St. Lorenz-
Strom. Gelockt hat man sie mit eigenem Land, für das jedoch müssen sie zunächst drei
Jahre Frondienste für den Seigneur Claude Trepagny leisten.
Der führt sie dazu zum Baumfällen tief in die dichten, für weiße Fremde höchst
unwirtlichen Urwälder. Sie leiden wie die Hunde unter der schweren Arbeit und den ebenso
primitiven wie gefährlichen Lebensumständen. Während sich Sel allmählich eingewöhnt,
nutzt der körperlich wenig belastbare, ansonsten aber recht pfiffige Duquet die erstbeste
Gelegenheit zur Flucht.
Nachdem er die nur um Haaresbreite überlebt hat, nennt er sich selbst eine
opportunistische Bestie und setzt von jetzt an skrupellos alles daran, zu Wohlstand
zu kommen. So betreibt er eine Zeitlang den recht lukrativen Pelztierhandel zwischen
Indianern, weißen Trappern und den europäischen Abnehmern. Um sich dann jedoch auf den
Holzhandel zu konzentrieren, wofür er auch Reisen bis nach China und Neuseeland auf sich
nimmt.
Im Vordergrund steht allerdings zunächst das weitere Schicksal René Sels, der hart zu
arbeiten versteht, jedoch nie wirklich aufbegehrt gegen die Zumutungen des Seigneurs. Der
schließlich wegen der Aussicht auf eine günstige Heirat seine langjährige Quasi-Ehefrau
Mari samt den gemeinsamen Kindern verstößt, denn sie ist eine Indianerin vom
Stamme der in dieser unendlichen Wildnis lebenden Mi'kmaq.
Der Seigneur entledigt sich ihrer, indem er Sel zu einer Zwangsehe mit ihr verdammt. Die
sich für diesen jedoch durchaus als Glücksfall erweist, denn Mari ist nicht nur eine
gute Ehefrau und Mutter weiterer Kinder, sie beherrscht auch die einzigartigen
medizinischen Heilkünste ihres Stammes. Dennoch wird diese gemischtrassige Verbindung
für die folgenden Generationen, die wie René Sel stets hart arbeiten müssen und es doch
nie recht zu etwas bringen, zur dauerhaften Hypothek in der den Weißen vorbehaltenen
Gesellschaft.
Derweil anglisiert der gerissene Duquet seinen Namen zu Duke und schwingt sich in der
schon damals wichtigen Metropole Boston mit seinem Unternehmen Duke & Sons
zu einem Holzbaron auf. Noch immer aber ist das Epos in diesen frühen Jahren von brutaler
Härte, von schweren Krankheiten und Seuchen, von Indianerangriffen und politischen Wirren
durchzogen.
Holzarbeiter und Indianer jedoch sind für einen wie Duke und sein Charakter
vererbt sich ebenso nur von Bedeutung in ihrem schieren Nutzen wie die unendlich
erscheinenden Wälder. Gier, Blindheit und Skrupellosigkeit ziehen so ihre authentische
Bahn durch die Geschichte mit all den Folgen bis hin zu Kahlschlag und
Klimaveränderungen, wie wir sie bereits kennen.
Und genau das spiegelt sich auch in dem vielfach von archaischer Rauheit durchzogenen
Erzählfluss wider. Etliche Charaktere fesseln ungemein, manche haben nur eine kurze
Wirkzeit, die wahre Nummer Eins unter den vielen Protagonisten aber ist die Natur
selbst. Wie der Mensch sich an ihr versündigt und ihre Endlichkeit blindlings ignoriert,
das wird in Annie Proulx' Epos zu einem wuchtigen Plädoyer zum Erhalt der Natur.
Zur Faszination dieses Monumentalwerkes trägt der exzellent recherchierte Detailreichtum
mit intensiven Sinneseindrücken maßgeblich bei. Das ist hautnah, unmittelbar und höchst
anschaulich dargebracht und die Krönung einer Autorin, die bereits sämtliche US-Preise
für Literatur gewonnen hat. Zugleich aber ist dieser überwältigende Roman eine
Herausforderung selbst für anspruchsvolle Leser.
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