EVA GESINE BAUR: „EINSAME KLASSE“


Der berühmteste deutsche Weltstar, ein Mythos schon zu Lebzeiten und eine Diva par excellence: all das weiß man von Marlene Dietrich (1901-1992). Was diese in vielerlei Hinsicht einzigartige Frau wirklich ausmachte, hat nun mit Eva Gesine Baur eine promovierte Kunsthistorikerin in einer großen Biographie untersucht.
Zugute gekommen ist ihr dabei nicht zuletzt, dass sie auich Psychologie studiert hat, denn nicht umsonst lautet der Titel ihres Werkes „Einsame Klasse. Das Leben der Marlene Dietrich“. Es ist gerade die Doppeldeutigkeit zwischen außergewöhnlich und einsam, die die Autorin bis in oft erstaunlichen Widersprüchen aufdeckt.
Wenn es einen Menschen gab, den die als unterkühlt Erachtete innig geliebt hat, dann ihre einzige Tochter Maria Riva. Ausgerechnet die aber spricht ihrer Mutter ab, ein menschliches Wesen zu sein. Und kann eine so attraktive Frau trotz einer mutmaßlich ellenlangen Liste an Liebhabern – die sie sogar einem für eine Veröffentlichung derzeit noch gesperrten Tagebuch penibel anvertraut hat – wirklich einsam gewesen sein? Doch die Biographin bestätigt, dass „die Dietrich“ schon in jungen Jahren unter Einsamkeit gelitten hat.
Schon früh aber stilisierte sich die 1901 in Berlin geborene Polizistentochter auch als unnahbar und eine gewisse „Magie der Gleichgültigkeit“ wurde sogar eines ihrer Markenzeichen. Und die Autorin streicht die hochentwickelten Fähigkeiten der sich seit ihrem großen Durchbruch „Der blaue Engel“ (1929) zur angebeteten Femme fatale hochstilisierenden Dietrich heraus.
Noch als Deutsche – Amerikanerin wurde sie erst 1939 – gab sie sich widersprüchlicher, moderner und vor allem auch kompromissloser als alle anderen Hollywood-Stars. Und verblüffte mit außergewöhnlichen, Aufsehen erregenden Verhaltensweisen. Nicht nur, dass sie mit ihren demonstrativ auch öffentlich getragenen Hosenanzügen zur Stil-Ikone wurde, als Frauen dafür durchaus noch damit rechnen mussten, angepöbelt und bespuckt zu werden. Ausgerechnet als besonders auf Erotik setzender Filmstar holte sie dann ihre Tochter nach Hollywood und präsentierte sich als Mutter – allerdings im Badeanzug.
Ihr Mythos war der von lasziver Weiblichkeit und kühler Verführungskunst. Und während sie – trotz lebenslangem Heimweh – den Lockrufen Hitlers und der Ufa demonstrativ widerstand, stieg sie im Weltkrieg sogar zur heißgeliebten Heldin der GIs auf. Da reiste sie im Mai 1944 zum europäischen Kriegsschauplatz als Truppenbetreuerin in Uniform. Egal ob Casablnaca oder Monte Cassino, selbst nahe der Front trat sie auf und genoss die Strapazen sogar, denn diese Frontsoldaten waren für sie das beste Publikum der Welt.
Zu den persönlichen Problemen der Diva gehörte früh ein extremer Perfektionismus aus Unsicherheit heraus. So zweifelte die Vielbegehrte an ihrer Atttraktivität wie auch an ihren Schauspielkünsten – trotz großer Kinoerfolge inklusive Oscar-Nominierungen. Vor der Truppe jedoch musste sie viel improvisieren und war dennoch ganz und gar in ihrem Element. Das strapaziöse und von Disziplin wie auch Ehrgeiz durchsetzte Leben wurde nach dem Krieg sogar noch exzessiver und nur wenigen Menschen hat sie sich anvertraut wie dem Freund Ernest Hemingway und dem Dauergeliebten Erich Maria Remarque.
Nach großen Charakterrollen in Filmerfolgen wie „Eine auswärtige Affäre“ und „Zeugin der Anklage“ wechselte sie schließlich – fast schon im Rentenalter – in den 60er Jahren in eine überraschende zweite Karriere: es begannen ihre Konzerttourneen. Wenn sie mit rauchiger Stimme und teils in provokante Roben gekleidet zum Beispiel „Sag mir wo die Blumen sind“ sang, lag ihr das Publikum zu Füßen.
Unter dem Alterungsprozess aber litt sie dennoch immer heftiger, wobei viel Alkohol sogar wohl schuld war an mehreren Bühnenunfällen. Wo dann selbst ihr eiserner Durchhaltewillen irgendwann versagte. Hinzu kamen immer häufiger Todesnachrichten ehemaliger Geliebter. Und sie zog die Konsequenzen aus dem unaufhaltsamen Alterungsprozess, um ihren Mythos als Diva zu bewahren: sie zog sich völlig zurück.
Auch über diese Zeit, die die stets so Beifallsüchtige bis zu ihrem Tod vor jetzt genau 25 Jahren fast hermetisch abgeschottet in ihrer Pariser Wohnung verbrachte, schreibt die Autorin viel Erhellendes. Eine starke Persönlich und Netzwerkerin mit unmittelbaren Kontakten bis hin zu Staatsoberhäuptern, nüchtern im Intellekt, eine einst vielfach geliebte und begehrte Einsame – Eva Gesine Baur porträtiert sie mit einer wohltuenden Mischung aus kritischer Sachlichkeit und Verständnis. Fazit: eine wahrhaft große Biographie zu einer ebensolchen Persönlichkeit.

# Eva Gesine Baur: Einsame Klasse. Das Leben der Marlene Dietrich; 576 Seiten, div. Abb.; C. H. Beck Verlag, München; € 24,95

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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