JENNIFER HAIGH: „LICHT & GLUT“


„Das ländliche Pennsylvania übt keine besondere Faszination auf die Welt aus, normalerweise. In zyklischen Abständen sind jedoch seine Innereien von Interesse. Dann wird es angebohrt, ausgeräumt, angezündet, ein Brandopfer für das kollektive Bedürfnis.“ Letzteres heißt schlicht Energiebedarf für die Nation und war es in früheren Zeiten die Kohle, lockt nun mit Schiefergas ein neuer Schatz.
Die kleine Stadt Bakerton ist exemplarisch für Boom, Niedergang und neue Hoffnung. Erfolgsautorin Jennifer Haigh stammt selbst aus einer solchen Stadt und kehrt für ihren neuen Roman „Licht & Glut“ in die daniederliegende Gegend zurück. Vor 40 Jahren begannen die Kohlenmienen zu schließen und der Bau des Gefängnis wurde in der Misere als bescheidener Lichtblick gefeiert.
Im fernen Texas aber hat ein raubtierhafter Unternehmer von einer Bonanza in der sogenannten Marcellus-Formation gehört: 1,4 Billionen Kubikmeter Schiefergas.
Und Clifford Oliphant hat keine Mühe, die Aktionäre von „Dark Elephant Energy“ von dem ganz großen Ding zu überzeugen. Nun muss man nur noch all die Ländereien in den Griff bekommen für die rund 6000 Bohrungen tief in den Untergrund, aus dem man per Fracking den Reichtum hochpressen will. Dafür schwärmen nun abgebrühte „Überzeuger“ wie der völlig bedenkenlose Bobby Frame aus, um die Bohrrechte von den Landeignern zu pachten.
Gegen vermeintlich guten Pachtzins pro Hektar zuzüglich einer kleinen Gewinnbeteiligung. Der typische Auftakt einer solchen Anwerbung an der Haustür lautet: „Schön, wie Sie hier wohnen.“ Womit die ebenso vielfältige wie lebensnahe Geschichte zu Rich Devlin und seiner kleinen Familie überschwenkt. Der Gefängniswärter träumt schon lange davon, mit seinen geerbten 40 Hektar eine Milchviehwirtschaft zu betreiben. Die Pacht müsste genau das möglich machen, zumal er das Land außerhalb der Drillanlagen weiterhin nutzen kann.
Die Ängste seiner hypochondrischen Frau – auch wegen der dauerkränklichen Tochter Olivia – schiebt er beiseite. Doch auch die meisten der anderen Landeigner lassen sich ködern. Nur ausgerechnet Mack und Rena mit ihrem Bio-Milchbetrieb mittendrin nicht, denn sie befürchten ernsthafte Nachteile für ihr Geschäft. Trotz Anfeindungen der Nachbarn bleiben sie fest und gehören dennoch zu den ersten Opfern all der Begleitumstände des mit brachialem Lärm und endlosem Lkw-Verkehr hereinbrechenden Bohrbetriebs: wichtige Abnehmer springen wegen Bedenken über Beeinträchtigungen der Bio-Erzeugnisse durch die Abwässer aus den Bohrlöchern ab.
Ohnehin liegen Segen und Fluch des Schatzes tief im Boden ganz nah beisammen und die Versprechungen des Energiekonzerns taugen auch nicht allzu viel. So gibt es kaum neue Arbeitsplätze für die Städter, stattdessen strömen Texas-Raubeine herein, die mit den Bohranlagen umgehen können. Doch die Autorin hat noch viel mehr Fäden geknüpft und bietet eine große Zahl durchweg exzellent ausgearbeiteter Charaktere auf. Ihre Meisterschaft besteht darin, die Handlungsstränge auf eine ganz und gar glaubwürdige Weise zusammenzuführen, die Gegenströmungen zur Kollision zu bringen.
Ob ein Alt-Hippie wie Lorne Trexley nicht nur das lange glückliche Lesbenpaar Mack und Rena aufmischt, ob der Blick in den Gefängnisalltag geht oder in die florierende Bar, in der sich die gar nicht willkommenen fremden Arbeiter breitmachen, alles ist lebensprall und wirkt sehr authentisch. Trotz des Oberthemas kommt die Autorin dabei ohne Pathos und Klischees aus. Stattdessen wartet sie mit starken Überraschungen auf wie bei der kränklichen Olivia, deren Mutter seltsame Gerüche im Wasser zu bemerken vorgibt, bevor das Fracking überhaupt begonnen hat.
Dieses virtuos komponierte Füllhorn von Geschichten, die alle miteinander zu tun haben und schließlich ein Ganzes ergeben, zeigt zugleich die USA der Gegenwart: die oben, die in der Mitte und die ziemlich weit unten. Fazit: ein bis zuletzt fesselnder großer amerikanischer Gesellschaftsroman und hinsichtlich des Themas Fracking wohl das Beste, was bisher darüber geschrieben wurde.

# Jennifer Haigh: Licht & Glut (aus dem Amerikanischen von Juliane Gräbener-Müller); 476 seiten; Droemer Verlag, München; € 22,99

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

Dieses Buch bei Amazon.de bestellen. 


Kennziffer: BEL 1246 - © Wolfgang A. Niemann - www.Buchrezensionen-Online.de