SAM PIVNIK: DER LETZTE
ÜBERLEBENDE
Wer nur ein einziges Buch lesen möchte, um die Realität des Holocaust kennenzulernen,
dem sei unbedingt Der letzte Überlebende von Sam Pivnik zu empfehlen. Dieser
Ich-Erzähler ist zwar so außergewöhnlich als Überlebender wie wohl kein Zweiter
gerade weil er die gesamte Palette des Grauens durchlitten hat und gegen jede
Wahrscheinlichkeit immer wieder dem unmittelbar drohenden Tod entgangen ist.
Arm aber glücklich lebte die jüdische Familie Pivnik im oberschlesischen Städtchen
Bedzin, als am 13. Geburtstag des Autors, der damals noch Szlamek mit Vornamne
hieß, mit dem deutschen Überfall auf Polen der Zweite Weltkrieg begann. Nach harten
Zeiten im Ghetto folgte 1943 die Deportation der gesamten Familie in das nicht weit
entfernte KZ Auschwitz-Birkenau.
Wo Sam erstmals dem Tod entkam, weil man ihn als arbeitsfähig einstufte, wogegen Eltern
und die fünf Geschwister sofort in die Gaskammern geschickt wurden. Gleich zweimal musste
sein Schutzengel dann mitten in dem täglichen tausendfachen Morden massiv eingreifen, um
ihn zu retten. So lag er schwer krank mit Typhus auf der Krankenstation und ausgerechnet
die berüchtigte Bestie Dr. Mengele verschonte ihn. Und dann schaffte er es mit
tollkühner Dreistigkeit sogar, ganz aus dem Vernichtungslager herauszukommen und er
landete im nahen KZ Fürstengrube.
Kein täglicher Totentanz mehr vor den blutrünstigen SS-Schergen, dafür unbarmherzig
harte Arbeit in dem maroden Kohlebergwerk des KZ. Aber auch hier galt: ein falscher Blick,
eine falsche Bewegung, eine einfache Laune eines sadistischen SS-Mannes und das Leben war
verwirkt. Das allenthalben geltende Gefühl, ein Untermensch, ein gehasstes Nichts zu
sein, wird durch ständige Demütigungen und Quälereien noch gesteigert. Und das findet
seinen zynischen Höhepunkt darin, dass Pivnik und einige Kameraden als Henkersknechte bei
Hinrichtungen von Mithäftlingen fungieren müssen.
Sam Pivnik, der das alles überstanden hat und als einer der wohl letzten Überlebenden
erst nach Jahrzehnten Mut und Kraft aufbrachte, all das niederzuschreiben und öffentlich
zu machen, lebt heute in einem Altenheim in England. Ausgerechnet könnte man sagen, denn
es waren britische Jagdbomber, die dem vermeintlich Geretteten am 3. Mai 1945 mit ihren
fatalen Bombenangriffen auf den Luxusdampfer Cap Arcona beinah noch den Garaus
gemacht hätten.
Pivnik hatte gegen Kriegsende auch einen der unmenschlichen Todesmärsche bis nach
Ostholstein überlebt. Dort brachte man ihn auf das große Schiff, das die SS wie einige
andere Schiffe in der Lübecker Bucht zum schwimmenden KZ umgewandelt hatten. Kaum hatte
sich der 18-Jährige auf dem mit 4600 jüdischen Häftlingen völlig überladenen Dampfer
eingefunden, brach der massierte Luftangriff über die Unglücklichen herein.
Mit Geschützen und uniformierten Wachen an Deck schienen die KZ-Schiffe legitime
Marineziele zu sein und es blieb bis heute ungeklärt, ob die SS genau das bewirken
wollte, was dann ja auch geschah. Pivnik aber gehörte einmal mehr zu den wenigen, die
diese letzte Hölle des Holocaust überlebten. Dies auch dank seiner offenbar längst
gestählten Überlebensinstinkte und der unerlässlichen Portion Glück, wie es nur ganz
wenigen Menschen zuteil wird.
Von den wenigen hundert Mann, die dem Untergang der Cap Arcona entgingen,
wurden nur die Uniformierten von Booten gerettet, auf alle anderen dagegen geschossen.
Nicht nur die Errettung und der unvergessliche erste Tag nach Jahren als Todgeweihter ohne
morgendlichen Zählappell sind zutiefst bewegend geschildert. Pivnik hat seine
Lebensgeschichte nicht mit Rachegedanken niedergeschrieben, vielmehr beklemmend sachlich
und detailgenau und dabei ebenso hautnah wie mitreißend.
Fazit: ein unglaubliches und dennoch wahres Buch, dessen Intensität man nicht entrinnen
kann. Gerade eingedenk Holocaust-Leugnern und aufkommendem Neonazi-Gedankengut sollte
dieser Bericht eines leibhaftigen Überlebenden im Übrigen zur Pflichtlektüre an allen
weiterführenden Schulen gemacht werden.
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