GONZALO TORNÉ: MEINE
GESCHICHTE OHNE DICH
Joan-Marc Miro-Puig, Anfang 40, immer noch recht attraktiv, kehrt mit seiner Frau Helen in
ein Kurzentrum ein, um die schwer kriselnde Ehe zu retten. Begleitet werden sie von seinen
amerikanischen Schwiegereltern sowie Jackson, dem ihm kaum bekannten Sohn Helens aus einer
kurzen früheren Ehe.
Damit beginnt Meine Geschichte ohne dich, der längst überfällige erste auf
Deutsch erschiene Roman des vielfach preisgekrönten spanischen Autors Gonzalo Torné. Was
Ich-Erzähler Joan nun über das zu erwartende Scheitern des Versöhnungsversuchs und weit
darüber hinaus über sein Leben, seine Familie und seine Befindlichkeiten ausbreitet,
berichtet er an ein fast unwirklich erscheinendes aber ständig präsentes Gegenüber.
Dieses Du ist Ehefrau Nummer 2, die ihn vor kurzem verlassen hat. Was auch
verständlich macht, mit welcher rücksichtslosen Offenheit er selbst intimste Details der
ungestümen Ehe mit der einstigen Leichtathletikhoffnung Helen aus dem recht
hinterwäldlerischen nordamerikanischen Montana schildert. Die blondmähnige
unschuldige Raubkatze mit den ewig lockenden Kurven hatte ihn regelrecht
angebaggert, als er als Student in Madrid gerade vor dem Abschluss stand.
Ein endloser Reigen orgiastischer Freuden setzt ein, allerdings scheint die Lust am Sex so
ziemlich das einzige Talent Helens zu sein. Und mit ein Grund, dass Joan ihren Wunsch nach
mehr Geselligkeit ebenso gezielt unterläuft wie später den nach einem eigenen Job.
Ähnlich schwer tut er sich mit Kontakten mit ihr zu seiner Bürgerlichen Familie und zu
den gehobenen Gesellschaftskreisen, in denen er aufgewachsen ist. Zudem offenbart er sich
als konfliktscheuer Macho und Hypochonder, wobei sich Selbstmitleid und Selbstironie die
Waage halten.
Das Alles und noch viel mehr wird nicht chronologisch ausgebreitet und anfangs muss man
sich erst hineinlesen in diese ungewöhnlich offene Lebensbeichte. Depressionen und
Rausch, Überdruss und Überlebenswillen widerstreiten ständig und das im Endlos-Monolog
ohne Absätze und Kapitel. Und doch wird man ganz und gtar in diesen wechselnden Strom der
Lebensphasen hineingezogen. Virtuos erscheinen dann die Erinnerungen an Kindheit und
Schulzeit mit grandiosen Charakterzeichnungen.
Stück für Stück ergibt sich auch ein Bild dieses so widersprüchlichen Mannes als von
den ganz typischen Aspekten einer gutbürgerlichen und dennoch zerbrochenen Familie
geprägt. Da ist die apathisch vor sich hindämmernde Mutter, längst vom Vater, einem
Kavalier alter Schule mit viel Stil und vermeintlicher Lebensweisheit verlassen. Und dann
ist da die von der Natur benachteiligte Schwester, die Joan so feindlich gesonnen ist,
dass sie die naive Helen gekonnt und mit bösen Folgen gegen ihn zu positionieren
versteht.
Am Vater dagegen hängt der wenig lebensfähige Joan, der einen fast so großen Hang zu
ungesundem Essen und noch viel mehr Alkohol hat wie die labile Helen. Es gehört zu den
bewegendsten Passagen des immer wieder packenden Romans, wenn Joan endlich zu einem
Wiedersehen mit dem Vater eingeladen wird und er diesen aufgehängt vorfindet. Ein später
Glanzpunkt wird schließlich das Treffen mit einem früheren Schulkameraden, in dem Joan
schildert, wie sich die einstige Sportskanone Eloy zu Eloise umwandeln ließ und wie
er/sie dies durchlebte.
Man mag es kaum glauben, aber nach anfänglichem Widerstreben angesichts des sprudelnden
Wortreichtums möchte man bald schon kein Wort dieses magischen Sprachzaubers mehr missen.
Mit dem gibt der Autor ebenso scharfsinnig wie lakonisch den Blick frei auf einen milden
Macho alter Art, der an den neuen Frauen wie auch an sich selbst verzweifelt.
Zugleich zerlegt Torné mit mal subtilem, mal gallig direktem Zynismus Wesen und Unwesen
der Ehe.
Meine Geschichte ohne dich ist ein furioser Roman und ein ungewöhnliches
schonungsloses Männerbuch, das gerade auch Frauen lesen sollten, um viel davon zu
erfahren, wie mann so tickt.
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