ANTONY BEEVOR: „DIE ARDENNEN-OFFENSIVE 1944“


Eine Massierung von gleich zwei bestens ausgerüsteten Panzerarmeen, ein nur unzulänglich aufgestellter Gegner und vor allem eine Wetterlage, die jegliche Flugtätigkeit lahmlegte – das waren die hervorragenden Voraussetzungen für die Wehrmacht, als sie am Sonnabend, dem 16. Dezember 1944, um 5:20 Uhr die Ardennen-Offensive über die überraschten Alliierten hereinbrechen ließ.
Am 28. November hatte der erste Schiffskonvoi zur Versorgung der alliierten Streitkräfte im freigekämpften Hafen von Antwerpen angelegt. Der würde den Vormarsch auf das Deutsche Reich nun maßgeblich beschleunigen. Die mit 200.000 Mann, 600 Panzern und 1900 Geschützen vorpreschende Streitmacht – darunter etliche SS-Divisionen – sollte nach Hitlers Vorstellungen den kriegswichtigen Hafen zurückerobern. Außerdem machte sich der längst völlig beratungsrestente Diktator Illusionen über eine dadurch zu bewirkende Entzweiung zwischen den alliierten Kriegsparteien.
Mit diesem Vorlauf und den Situationsbeschreibungen auf beiden Seiten der Front beginnt Antony Beevor seine große Chronik „Die Ardennen-Offensive 1944. Hitlers letzte Schlacht im Westen.“ Als die Angriffswalze in den schneebedeckten Waldgebieten losbrach, traf sie aufgrund extremer Geheimhaltung sowie witterungsbedingt unzulänglicher Luftaufklärung auf einen völlig überraschten Gegner, der noch den bisherigen schnellen Vormarsch in Frankreich und Belgien feierte. Anfangs wurde die klug geplante Offensive der massierten SS- und Wehrmachtsverbände mit wenig Widerstand konfrontiert und auch der war noch ungeordnet.
Beevor, ehemaliger britischer Offizier und wohl bester Kenner der Materie, verfolgt bei seinen minutiösen und detaillierten Schilderungen hier erneut die Strategie, alle Seiten von den Beratungen und Eifersüchteleien der Generalstäbe bis hin zum Leiden einfacher Soldaten im Hagel des Mörserfeuers in ihren Schützenlöchern bei starkem Frost zu beleuchten. Sowohl in den Führerbunker wie auch in die Keller mit der notleidenden Zivilbevölkerung schaut er.
Insbesondere einige der SS-Verbände sorgten für schlimmste Kriegsverbrechen wie jenes Massaker von Malmedy, wo 84 gefangene US-Soldaten niedergemäht wurden. Die Gräueltaten mancher deutscher Truppenteile führten dabei zu Vergeltungsakten seitens alliierter Truppen, die von einigen Generälen sogar ausdrücklich gebilligt wurden. Ohnehin entwickelte sich die Ardennen-Offensive mit ihrem „für die Westfront beispiellosen Grad an Brutalität zu einem Ringen, das den ungeheuer brachialen Schlachten an der Ostfront in nichts nachstand.
Wenn die Angreifer dann jedoch nicht einmal das Etappenziel der Maaß geschweige denn Antwerpen erreichten, hatte das gleich mehrere Gründe, die der Autor glänzend verständlich macht. Geriet der Vormarsch durch winterliche Einschränkungen und das schwierige Gelände ohnehin schon langsamer als geplant und erforderlich, hatten die Generäle zudem Kampfkraft und Durchhaltewillen der alliierten Soldaten unterschätzt.
Beevor beschreibt viele beispielhafte Gefechte, allen voran die Verteidigung des wichtigen Verkehrsknotenpunktes Bastogne mit Zähnen und Klauen durch die 101. Luftlandedivision. Hinzu kam die logistische Meisterleistung, mit der den Angreifern ein großer Teil der dringend benötigten Nachschubgüter rechtzeitig durch Abtransport entzogen wurde. Und die Offensive verlor bereits am 23. Dezember ihren wichtigsten Verbündeten überhaupt: plötzlich herrschte strahlend blauer Himmel und brachte beste Konditionen für die absolut überlegene alliierte Luftwaffe.
Spätestens am ersten Weihnachtstag war dieses letzte große Aufbäumen der Nazi-Kriegsmaschinerie gescheitert. Noch Wochen zogen sich die Kämpfe hin und brachten mindestens so viel Leid wie für die Streitkräfte mit ihren fast 160.000 Opfern auch für die belgische Zivilbevölkerung. In der historischen Wahrnehmung spielt die „Battle of the Bulge“, so die alliierte Bezeichnung, als blutigste Schlacht auf dem europäischen Kriegsschauplatz des Zweiten Weltkriegs neben der Invasion vom 6. Juni desselben Jahres die herausragende Rolle auf dem Weg zur Niederringung Hitlers.
Ganz im Gegensatz zur deutschen Seite, die dabei jedoch zu Unrecht einen kriegsentscheidenden Apsekt vernachlässigt: die Konzentration und der Verlust der letzten herausragenden Ressourcen in den Ardennen war maßgeblich für den schnellen erfolgreichen Vormarsch der Roten Armee von der Weichsel an die Oder. Womit der unaufhaltsame Untergang des Dritten Reichs endgültig besiegelt war.
Einmal mehr überzeugt Beevor mit der ungeheuren atmosphärischen Dichte der Schilderungen paralleler Kampfhandlungen und er macht das Toben und die Verwirrungen spürbar. Zugleich besticht seine sachliche Unbestechlichkeit, indem er sämtliche Aspekte beleuchtet, auch wenn dabei Dinge nicht ausgespart werden, die für das Ansehen der alliierten Seite wenig rühmlich sind. Fazit: dieses gewohnt brillant geschriebene Sachbuch darf ungeschmälert als das Standardwerk zu diesem Thema angesehen werden.

# Antony Beevor: Die Ardennen-Offensive 1944. Hitlers letzte Schlacht im Westen (aus dem Englischen von Helmut Ettinger); 477 Seiten, div. Abb.; C. Bertelsmann Verlag, München; € 26


WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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