THOMAS THIEMEYER: „EVOLUTION“


Bevor kürzlich die Raumsonde „Rosetta“ auf dem Kometen Tschurjamov-Gerassimenko zerschellte, hatte sie u.a. Daten über 16 organische Moleküle auf dem kleinen Himmelskörper gemeldet. Vier davon waren bisher unbekannt.
Inwieweit dies mit Thomas Thiemeyers neuem Wissenschaftsthriller „Evolution – Die Stadt der Überlebenden“ zu tun hat, erfährt man im Laufe dieses Auftaktbandes zu einer packenden Trilogie nicht nur für Leser ab etwa 15. Alles beginnt recht normal, wenn sich eine Gruppe von Jugendlichen für einen Schüleraustausch auf den Flug von Frankfurt nach Los Angeles begibt. Man lernt einige der späteren Hauptakteure näher kennen.
Das typische Großmaul in Gestalt des sehr von sich überzeugten Marek samt Bewunderinnen darf natürlich nicht fehlen. Arthur ist ein gewiefter IT-Nerd und Zoe erweist sich als meisterhafte Sportschützin mit Bogen und Pistole. Im Mittelpunkt aber stehen die rothaarige Lucie und der dunkelhäutige Jem mit der heiklen Vergangenheit. Was so landläufig mit den üblichen Nicklichkeiten ansetzt, erfährt während des Fluges jedoch die erste gravierende Erschütterung.
Im Sinne des Wortes, denn das Flugzeug wird unversehens wüst herumgeschleudert und der Horror gipfelt in einem gleißenden Licht. Als alle wie gerädert wieder zu sich kommen, meldet der Flugkapitän, dass er aufgrund technischer Probleme Denver anfliegen müsse. Beim Anflug merkt Zoe als erste der 15-, 16-Jährigen, dass da etwas ganz und gar nicht stimmt: kein einziges Licht schimmert in der Abenddämmerung aus der riesigen Colorado-Metropole. Und prompt wird das Aufsetzen auf dem internationalen Airport zu einer Crash-Landung.
Alle 300 Insassen überleben, doch wo sind sie wirklich gelandet: alles ist überwuchert und die großen Hallengebäude wirken wie üppige Gewächshäuser. Der Kapitän war zuletzt vor einem Monat hier und der Airport wirbelte wie üblich. Jetzt aber wirkt alles, als sei es mindestens seit 100 Jahren menschenleer und ungenutzt. Tatsächlich findet Luscie in einem der Airport-Shops eine Zeitschrift – von 2035! Und die scheint schon sehr alt zu sein. Sind sie also in der Zukunft gestrandet?
Bei Tagesanbruch gibt es dank der Solartechnik automatisch wieder Strom und die Jugendlichen finden die roboterähnliche Service-Drohne MARS mit sehr nützlichen Fähigkeiten. Und dann macht sich eine kleine Gruppe von einigen Erwachsenen und der Austauschschüler mit einem solarbetriebenen Schulbus auf den mühevollen Weg in die Stadt. Doch die Gruppe fühlt sich irgendwie beobachtet, obwohl es nur eine Unzahl von überaus friedlichen Tieren zu geben scheint.
Allerdings streut Thiemeyer in seiner immer fesselnder werdenden Dramaturgie erstmals einen vagen Hinweis auf ES ein. Und die ohnehin dichte Atmosphäre brodelt schier bedrohlich auf und dann kommt es zu seltsam koordinierten Attacken seitens bestimmter Tiergruppen. Zugleich erfahren die Jugendlichen jedoch erste Andeutungen über jene mysteriöse Katastrophe, die alles so verändert hat seit jenem 23. August 2035, als der Komet „Thor“ vorm Auftreffen auf die Erde explodierte.
So atemberaubend wie die Handlung sich immer rapider entwickelt, so hinreißend sind auch die Erkenntnisse durch den Hologrammbibliothekar der Stadtbücherei über die wissenschaftlich nachvollziehbaren Erklärungen. „Thors“ Explosion steigerte die Weltklimaerwärmung umgehend um eklatante vier Grad und setzte obendrein einen Wust von fremden organischen Molekülen frei: „Es war ein großer Schritt in der Evolution.“
Verbunden mit wuchernden Mutationen veränderte sich die Welt so fundamental, dass die Menschen innerhalb weniger Generationen ausstarben. In all dem Entsetzen durch diese Erkenntnisse, aber auch durch die Großangriffe der Tiere scheint es lediglich einen winzigen Hoffnungsschimmer zu geben: Gerüchte über eine letzte Kolonie überlebender Menschen in der einstigen NORAD-Militärbunkeranlage bei Colorado Springs nahe der Rocky Mountains.
Längst ist das Alles zu einem Thriller geworden, der den Leser mitzittern lässt. Gleichwohl sei eines hier verraten, da es der Untertitel bereits andeutet: es gibt eine Festung in den Bergen und eine kleine Gruppe der Jugendlichen erreicht sie zerschunden und traumatisiert. Zugleich ist das der Cliffhänger zum Folgeband, der aber glücklicherweise bereits für Januar 2017 angekündigt wird.
Und dem wird jeder Leser von Teil I entgegenfiebern, denn Thomas Thiemeyer war noch nie so gut wie mit „Evolution“. Der wissenschaftliche Unterbau überzeugt da ebenso bis in die glänzend eingeführten Details wie die allmähliche Entwicklung der durchweg markanten Figuren. Fazit: ein Auftakt nach Maß und auf internationalem Spitzenniveau.

# Thomas Thiemeyer: Evolution – Die Stadt der Überlebenden; 348 Seiten; Arena Verlag, Würzburg; € 16,99

 
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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