DIMITRI VERHULST: „DIE UNERWÜNSCHTEN“


Dimitri Verhulst zählt zu den Stars der flämischen Literatur, doch so gallebitter sarkastisch war er noch nie wie bei seinem jüngsten Buch „Die Unerwünschten“. Nur zwei Geschichten offeriert der schmale Band, doch die lassen einem den Atem stocken. Zumal, wenn man sich vergegenwärtigt, dass der Autor selbst unvergessliche Erfahrungen als Heimkind gemacht hat.
Und so schaut er quasi autobiografisch in einen Abgrund, den alle die Kinder im Heim „Sonnenkind“ als unheilbare Wunde mit sich umhertragen: Sie sind unerwünscht. Die eine der „Zwei Geschichten nach wahren Begebenheiten“ dreht sich um Gianna, die in den Tod gesprungen ist. Auf ihrer Beerdigung mit den leeren Floskeln des Pfarrers sinniert der Ich-Erzähler in der 2. Person singular über das Heim an sich, wo die Erzieher nur Passanten im Leben der Insassen sind.
„Zuneigung, die erfahrt ihr nur zwischen den Beinen“, stellt er fest, und resümiert über das Leben als einer sexuell übertragbaren Krankheit. Das überleben nur die, bei denen die Hornhaut auf sämtlichen Gefühlsorganen dick genug wird. Und wenn der Erzähler – unüberhörbar der Autor selbst – das Heim als Mülleimer für Kinder charakterisiert, dann glaubt man das spätestens bei der ebenso knallharten wie herzzerreißenden Szene einer Ablieferung. Da bringt eine junge Mutter ihren kleinen Sohn und erklärt: „Ich komme meinen Kleinen hier abliefern, ich will ihn nicht mehr!“
Wer so ohne Wärme, Liebe, Familie und Angenommensein durch Kindheit und Jugend geht, von dem verwundert die zweite Geschichte nicht wirklich. Es wird über Stefaan und Sarah zu Gericht gesessen, die ihr Baby und den achtjährigen Sohn umgebracht haben. Sie können nicht verstehen, dass man ihnen eine soziopathische Störung unterstellt. Und sie kommen zu einer monströsen Schlussfolgerung über ihr Tun, die Gänsehaut bereitet. Weil sie auf solch erschütternde Weise nah bei der Wahrheit ist.
Fazit: ein schockierendes Buch aus der gesellschaftlichen Realität. Schwer zu ertragen, aber brillant geschrieben und ungeheuer wichtig.

# Dimitri Verhulst: Die Unerwünschten (aus dem Niederländischen von Rainer Kersten); 142 Seiten; Luchterhand Literaturverlag, München; € 18

 
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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