HORST ECKERT: „WOLFSSPINNE“

 
Die Prognose sei gewagt: wenn es um den Politthriller des Jahres geht, dann kann das nur Horst Eckerts „Wolfsspinne“ sein. Gekonnt geschrieben wie immer, dazu atemberaubend spannend und vor allem voller höchst brisanter aktueller Themen.
Nach dem Prolog über die Exekution eines türkischen Blumenhändlers geht es zunächst zu einem Banküberfall in Eisenach im November 2011. Dann springt die Handlung in den Herbst 2015, wo in Düsseldorf die Gastronomin Melli Franck brutal in ihrem Promi-Restaurant ermordet wird. Womit Hauptkommissar Vincent Veih in seinem mittlerweile dritten Fall ins Spiel kommt.
Allerdings wird Vincent durch üble Machenschaften in der Ermittlungsarbeit behindert. Auf einer Neonazi-Demo soll er sich als Gegendemonstrant tätlich eingemischt haben. Was prompt vom Boulevard negativ aufgebauscht wird, zumal auch noch seine Mutter als ehemalige RAF-Terroristin mit langer Haftstrafe mit ihren kulturellen Aktivitäten Aggressionen erzeugt.
Während Vincent und seine Kollegen dennoch allmählich auf Ungereimtheiten bei der Wirtin mit Drogenhandel und seltsamen Verbindungen stoßen, gerät Ronny Vogt als verdeckter Ermittler immer tiefer in eine Szene, in der militante Neonazis einerseits in großem Maße im Crystal-Meth-Handel mitmischen wollen und andererseits offenbar weitaus Größeres im Schwange ist.
Und der Leser lernt nicht nur Ronnys Vergangenheit sondern vor allem seinen Auftraggeber kennen, Bastian Schwenk vom Verfassungsschutz. Der skrupellose Zyniker war schon zu DDR-Zeiten Ronnys Führungsoffizier seitens der Stasi, denn der vaterlose Junge war erst Mitglied der Neofascho-Szene und dann dasselbe in staatlichem Auftrag. Bis er Ende der 90er Jahre engster Vertrauter von Maxi und Gerri und deren Gespielin Liese wurde – dem Trio, das erst 2011 als „Nationalsozialistischer Untergrund NSU“ bekannt wurde.
Immer tiefer wurde auch Ronny durch deren Raub- und Mordtaten in diese Verbrechen unter Aufsicht des Verfassungsschutzes hineingezogen. Aussteigen aber durfte er nicht, wie ihm Schwenk klarmachte – man wolle über jeden Schritt informiert sein. Bis die über die neofaschistischen Umtriebe ahnungslose Polizei auf die unangenehme Idee kam, die Raubserie des Quartetts nun ganz intensiv aufzuklären.
Eine Horrorvorstellung für das Landesamt für Verfassungsschutz Thüringens als Drahtzieher hinter Ronny – würde die Gruppe lebend erwischt, käme heraus, dass die Verfassungsschützer von Beginn an involviert waren. Für Schwenk und seine Eingeweihten Anlass für die Aktion Wolfsspinne: „Die Wolfsspinne ist ein gnadenloser Jäger. Meister der Tarnung. Schlägt blitzschnell zu.“ Und so passiert das, was angeblich ein Selbstmord war, die Abschaltung der NSU-Mörder.
Doch Ronny war viel zu verliebt in Liese und bewegte diese deshalb dazu, sich freiwillig zu stellen. Als die Wahrheit vom NSU die Öffentlichkeit erschüttert und das Bundeskriminalamt sich einschaltet, folgt bei den Verfassungsschützern bundesweit die – reale – Aktion Konfetti, bei der all die Berichte der Dutzende von V-Männern geschreddert werden. Ronny aber dringt nun im Jahr 2015 in eine Art NSU 2.0 ein, noch brutaler und skrupelloser als die Vorgänger.
Zugleich weitet sich der vermeintlich simple Mordfall Melli Franck in immer größere Dimensionen aus, denn Vincent entdeckt Querverbindungen zu Drogenkreisen wie auch zu denselben rechtsextremen Zirkeln, in denen Ronny wider Willen weiter agieren muss. Und in einer aufgeladenen deutschen Gegenwart mit Flüchtlingsströmen, Pegida-Demos und rechtsextremen Umtrieben gehen die Verzweigungen von primitiven Glatzen-Faschos bis hin zu Drahtziehern im Edelzwirn. Da träumen ebenso angesehene wie mächtige Chargen von Aufstand und Machtergreifung.
Das Alles dramatisiert sich zu einem hitzigen Finale, das den Leser höchst beunruhigt zurücklässt. In diesem Politthriller auf internationalem Spitzenniveau mit brillant gezeichneten Figuren und atemberaubenden Verknüpfungen muss man unweigerlich auch an die unglaublichen Geschehnisse im echten thüringischen Verfassungsschutz unter dessen erratischem Präsidenten Dr. Helmut Röwer denken.
„Wolfsspinne“ ist zwar immer noch nur Spekulation – aber beängstigend nah dran an dem, was man sich ganz real in diesem unseren Land vorstellen kann...

# Horst Eckert: Wolfsspinne; 488 Seiten; Wunderlich Verlag, Reinbek; € 19,95

 
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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