HELEN GARNER: DREI
SÖHNE
Es war einmal ein schwer arbeitender Mann, der mit seiner Frau und seinen drei
kleinen Söhnen in einer Kleinstadt in Victoria lebte. Sie schlugen sich mit seinem
Raumpflegersgehalt durch und bauten mühsam an einem größeren Haus. Diese
bescheidene Idylle zerbricht bald und führt schließlich in eine Katastrophe, die ganz
Australien auf Jahre in Atem hielt.
Der Mann heißt Robert Farquharson und am 4. September 2005, dem dortigen Vatertag, ist er
auf dem Weg zu Noch-Ehefrau Cindy, um die Jungen nach dem Besuchstag abzuliefern. Doch
gegen 19 Uhr kommt sein Wagen von der Straße ab und stürzt in ein großes und sehr
tiefes Wasserreservoir. Er kann sich befreien und ans Ufer schwimmen, die zehn, sieben und
zwei Jahre alte Kinder aber ertrinken im Auto. Farquharson macht keine Rettungsversuche,
aber nicht nur deshalb wird er schließlich zu dreimal Lebenslang verurteilt.
Diesen aufwühlenden Fall hat sich vom Tag des Geschehens an die Erfolgsschriftstellerin
Helen Garner mit nie nachlassender Intensität gewidmet und das Ergebnis ist der
Tatsachenbericht Drei Söhne. Ein Mordprozess. Die Autorin wurde selbst in
jenem Geelong geboren, wo der erste Prozess stattfindet. Den strengt die
Staatsanwaltschaft schon bald an, obwohl Farquharson sich als unschuldig bekennt und als
Ursache für den fatalen Fahrfehler eine Augenblicksohnmacht durch einen heftigen
Hustenanfall angibt.
Minutiös rollt Helen Garner die Gerichtsverfahren auf und versucht, die Tragödie zu
rekonstruieren. Der zur fraglichen Zeit 36-Jährige neigte offenbar zu Lethargie und
Depressionen, was auch der Grund für die Ehefrau war, die Ehe für beendet zu erklären
und ihn zum Auszug zu bewegen. Das hart erarbeitete zweite Auto behielt sie und während
er kaum genug verdiente, um Unterhalt zu zahlen, zog ein anderer Mann bei ihr ein.
Also doch kein tragischer Unfall sondern ein entsetzlicher Racheakt an seiner Cindy? So
sah es schließlich das Schwurgericht und verhängte dreimal die lebenslängliche
Freiheitsstrafe wegen vorsätzlichen Mordes. Mehr als nur die wenig glaubhafte und
unbewiesene Hustensynkopie und das hilflose, untätige Verhalten am Unglücksort sprach
eine Äußerung gegen ihn, die er Wochen zuvor gegenüber einem Freund gemacht haben soll.
Der als glaubwürdig erachtete Zeuge sagte aus, Farquharson habe angedeutet, Cindy das
wegnehmen zu wollen, was ihr am meisten bedeutete: die Kinder. Und welcher Tag hätte sich
für einen solchen Akt furchtbarer Vergeltung besser geeignet als der Vatertag?! Also
nicht einmal eine Kurzschlusshandlung, weshalb das Urteil auch so hart ausfiel, dass es
nicht einmal die Möglichkeit eines späteren Straferlasses zuließ.
Allerdings kämpft Farquharson erfolgreich um eine Wiederaufnahme des Verfahrens, erhält
jedoch erneut dreimal Lebenslang, wenngleich das Urteil diesmal wenigstens einen
Straferlass nach 33 Jahren in Aussicht stellt. Während die große Mehrheit der
Bevölkerung glaubt, er sei zu Recht als Mörder verurteilt worden, beteuert der durchaus
nicht als unsympathisch geschilderte Farquharson bis heute seine Unschuld. Und der
zutiefst einsame Mann darf dabei in einer Gewissheit leben: seine Ex-Frau ist ebenfalls
davon überzeugt, dass der Tod ihrer Söhne ein tragischer Unglücksfall war.
Helen Garner ist mit diesem Tatsachenbericht, der mit hoher Kunstfertigkeit zwischen
persönlicher Anteilnahme und streng sachlich gehaltenen Schilderungen der Kreuzverhöre
und der Gutachten wechselt, ein bis zuletzt fesselndes Meisterwerk gelungen. Eindringliche
Szenen, brillante Charakterzeichnungen und das Wissen, dass all dies nicht etwa ein gut
erfundener Gerichtskrimi ist, lassen Drei Söhne tief unter die Haut gehen.
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