BRIGITTE GLASER: „BÜHLERHÖHE“


Rosa und Rachel Silbermann kamen mit der fünften Auswanderungswelle, der Alija, Mitte der 30er Jahre nach Palästina. Nach Krieg und Holocaust sind die Töchter eines renommierten Kölner Rechtsanwalts die einzigen Überlebenden der gesamten Familie. Während die ältere Rachel sich nach Marokko abgesetzt hat, lebt die attraktive Rosa zufrieden im Kibbuz Omarim.
Im Frühsommer 1952 rekrutiert sie der Mossad für einen Auftrag, weil sie Deutsch spricht, Kampferfahrung aus der Hagana hat und aus Jugendjahren das Luxushotel „Bühlerhöhe“ im Schwarzwald kennt. Diese Nobelherberge ist denn auch titelgebend für Brigitte Glasers Politkrimi, der sich einem heiklen historischen Geschehen widmet. In jenem Jahr laufen die Verhandlungen über das Wiedergutmachungsgesetz, nach dem die Bundesrepublik rund drei Milliarden DM als globale Erstattung für Eingliederungskosten für entwurzelte und mittellose jüdische Flüchtlinge an Israel zahlen soll.
Das Gesetz ist nicht nur auf deutscher Seite so umstritten, dass Bundeskanzler Adenauer es später nur mit Stimmen aus der Opposition durch den Bundestag bekommt. Noch heftiger als „Blutgeld“ angefeindet wird es von wichtigen Kreisen im jungen Staat Israel. Allen voran von der Irgun, einer ehemaligen Untergrundorganisation, die schon die britischen Statthalter mit massivem Terrorismus bekämpfte. Und ihr Chef Menachem Begin – der viel spätere Ministerpräsident – giftet: „Adenauer ist ein Mörder. Jeder Deutsche ist ein Mörder.“
Der Mossad nimmt die Bedrohung für den deutschen Bundeskanzler absolut ernst, zumal es bereits drei (historisch verbürgte) Attentatsversuche mit Briefbomben gegeben hat. Und er will einen eigenen Spezialisten auf die Bühlerhöhe entsenden. Für diesen Professor Ari Goldberg soll Rosa als vorgebliche Ehefrau die Assistentin spielen. Vor Ort stößt sie einerseits auf Hauptmann von Droste, den umsichtigen Sicherheitschef Adenauers. Der nimmt sie nicht wirklich ernst und die israelische Einmischung eher missmutig in kauf.
Zur echten Gegenspielerin Rosas wird dagegen die machtbewusste Hausdame Sophie Reisacher. In ihr grollt der Ehrgeiz, denn als gebürtige Straßburgerin hatte sie den Fehler begangen, einen SS-Offizier zu heiraten. Einen Versager, der zwar an der Front fiel. ihr nach Kriegsende aber die Heimkehr unmöglich machte. Nun hofft sie heimlich auf eine Ehe mit dem dubiosen Schweizer Geschäftsmann Pfister, der hier ominöse Kontakte pflegt.
Als misstrauische Strippenzieherin spioniert sie hinter allem und jedem her, ahnt umgehend, dass Rosa keine Professorengattin ist, und überschätzt zugleich ihre Fähigkeiten insbesondere bezüglich Pfisters in fataler Weise. Rosa wiederum sieht sich allein auf weiter Flur, denn in Paris war Ari an Säuberungen gegenüber einer Irgun-Gruppierung beteiligt. Da jedoch einer entkommen konnte, ist er vorerst dort gebunden.
Währenddessen laufen die Vorbereitungen für den Besuch Adenauers – er kurte übrigens tatsächlich wiederholt mit Tochter Libeth dort – und wichtiger Verhandlungspartner quasi im Countdown. Die Gefahr eines Attentats liegt drohend in der Luft und einige verdächtige Gestalten stärken die Verunsicherung nicht nur Rosas. Für zusätzliche Spannung sorgen Nebenstränge der Handlung, die teils direkt in die Sicherheitslage hineinreichen. Aber auch diverse Details bis hin zu Adenauers Frischzellenkuren eben hier schaffen eine ähnlich authentische Szenerie wie das immer wieder thematisierte „alte Denken“ im Deutschland der frühen 50er Jahren.
Und das Knistern steigert sich noch, als ein mutmaßlicher Scharfschütze umkommt und Ari schließlich doch noch eintrifft. Wie die Dinge eskalieren und es zu einem Finale mit Knalleffekt kommt, soll hier nicht verraten werden. Nur so viel: das ist gnadenlos realistisch geschrieben, glänzt mit messerscharfer Beobachtungsgabe und fesselt vor allem mit dem hinreißenden subtilen Zweikampf zwischen Rosa und Sophie. Die Mittdreißigerinnen haben jede ihre Vergangenheit und kämpfen hier nun verbissen auch um ihre eigene Zukunft.
Fazit: nach ihren „normalen“ Krimis bietet Brigitte Glaser hier einen Geschichtsunterricht, der zu einem sehr realen, hochkarätigen Stück Spannungsliteratur geworden ist.

# Brigitte Glaser: Bühlerhöhe; 445 Seiten; List Verlag, Berlin; € 20

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

Dieses Buch bei Amazon.de bestellen. 


Kennziffer: BEL 1184 - © Wolfgang A. Niemann - www.Buchrezensionen-Online.de