GREG ILES: „DIE TOTEN VON NATCHEZ“


Mit dem Thriller-Epos „Natchez Burning“ legte der US-Erfolgsautor Greg Iles einen infernalischen Page-Turner als Auftakt einer Trilogie vor, die überwiegend in der Stadt am Missisiippi spielt, in der er selbst lebt. Auf 1000 Seiten breitete Iles Hochspannendes mit viel realem Hintergrund insbesondere aus der Zeit der Bürgerrechtsbewegung in den 60er Jahren aus.
Im Mittelpunkt der Gegenwart steht als Ich-Erzähler Penn Cage, ehemaliger Staatsanwalt und jetzt smarter Bürgermeister von Natchez. Ausgerechnet durch seinen Vater, den angesehenen Arzt Tom Cage, gerät Penn in das extrem skrupellose Mahlwerk der Geheimorganisation der „Double Eagle“, einer Splittergruppe des Ku-Klux-Clans. Die hatte vor allem in den 60ern mit Mord und Brand ihren Rassismus ausgetobt.
Nun war jedoch das geflüchtete Vergewaltigungsopfer Viola Turner nach über 30 Jahren zurückgekehrt. Tom Cage, ihr einstiger Chef aber auch ihr heimlicher Liebhaber, soll ihr wegen Krebs im Endstadium geholfen haben. Die Double Eagle aber dulden die Rückkehr geflohener Schwarzer nicht, obendrein recherchiert der aufrechte Kleinstadtjournalist Henry Sexton mit gefährlichem Erfolg gegen sie. Und innerhalb dieser ebenso komplexen wie brisanten Gemengelage gerieten Penn und seine Verlobte, die Spitzenjournalistin Caitlin Masters, in die Kreise der nach wie vor virulenten Doppeladler, die sich längst zu einer alles durchdringenden Verbrecherorganisation entwickelt haben. Und kaum angreifbar, denn an ihrer Spitze steht mit Forrest Knox der stellvertretende Chef der Staatspolizei von Louisiana.
Nun legt Iles mit „Die Toten von Natchez“ die Fortsetzung der Trilogie vor und es sei vorweg gesagt: oft sind solche zweiten Teile eher Füllwerke, dieser weitere 1000-Seiter dagegen eröffnet noch mehr atemberaubende Ereignisse und Wendungen als der Auftaktband. Allerdings ist für den vollen Genuss unbedingt die vorherige Lektüre von „Natchez Burning“ zum besseren Verständnis zu empfehlen.
Zumal der neue Band fast unmittelbar dort fortsetzt, wo Penn und Caitlin soeben einem irren alten Rassisten entkommen sind, der sie in seinem Folterkeller eliminieren wollte. Während Vater Cage sich unter Mordverdacht weiter versteckt hält und Aufklärer Sexton nach einem Anschlag im Krankenhaus liegt, stellt der unerschrockene FBI-Mann John Kaiser das Treiben der Double Eagle als Terrorismus unter den sogenannten „Patriot Act“, womit er seine Kompetenzen massiv erweitert.
Die verbrecherischen Adler sind allerdings eine eingeschworene Bande mit teils engen Familienverbindungen, die undichte Stellen ebenso gnadenlos und meist mit ausgesprochener Mordlust beseitigen wie störende Ermittlungsbeamte. Andererseits ist die Beweislage dünn, weshalb Knox und seine Schergen besonders aufgescheucht reagieren, als es der überehrgeizigen Caitlin tatsächlich gelingt, den sagenumwobenen „Knochenbaum“ ausfindig zu machen. Die riesige alte Zypresse inmitten der Sümpfe birgt haufenweise Überreste aus alten und neueren Verbrechen der Adler.
Doch Caitlin bezahlt einen hohen Preis für ihren Erfolg und Penn geht auf einen schier aussichtslosen Rachefeldzug. Aber auch ansonsten fliegen die Fetzen mit Niedertracht, Verrat und überbordender Brutalität gegen jeden Störenfried. Wobei sich schließlich für Penn ein Abgrund eröffnet, als sich die Nähe des unbescholtenen Tom Cage zu eben diesen Kreisen herausstellt. Er war nicht nur als junger Arzt in die Fänge von Carlos Marcello geraten, dem mächtigsten Mafia-Boss des Südens.
Immer mehr verdichtet sich der Verdacht, dass Cage 1963 ahnungslos mit einer Krankenbescheinigung dem wahren Mörder von John F. Kennedy die Fahrt nach Dallas ermöglichte. Und diese Verschwörungstheorie über das bis heute nicht gänzlich aufgeklärte Attentat auf den US-Präsidenten weitet der Autor so weit aus, dass selbst Andeutungen von Kubas Fidel Castro im persönlichen Interview auf raffinierte Weise mit einfließen.
Mehr aber kann und soll von dieser packenden Achterbahnfahrt des Verbrechens mit seinen exzellent gezeichneten Charakteren nicht verraten werden. Die immer wieder höchst explosiven Wendungen machen passagenweise geradezu atemlos und nach den 1004 Seiten dürfte eines gewiss sein: man lechzt bereits nach dem Abschluss der Trilogie. Und bei all der Fülle soll nicht vergessen werden, den hervorragenden Schreibstil des Autors zu würdigen. Für Zartbesaitete allerdings empfiehlt sich der hart und realistisch geschriebene Thriller auf keinen Fall.

# Greg Iles: Die Toten von Natchez (aus dem Amerikanischen von Ulrike Seeberger); 1004 Seiten; Rütten & Loening Verlag, Berlin: € 22,99

 
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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