HANS WOLLER: MUSSOLINI
Es gibt zwar zahlreiche Publikationen zu Benito Mussolini (1883-1945) und doch erscheint
der Duce bis heute allgemein als der harmlose kleine Bruder des
Großverbrechers Hitler. Um so überraschender und verdienstvoller ist das Bild, das Hans
Woller mit seiner Biografie Mussolini. Der erste Faschist auf der Grundlage
intensiver Recherchen und Analysen freilegt.
Der Wissenschaftliche Mitarbeiter am Münchner Institut für Zeitgeschichte deckt den
selbstgefälligen, prinzipienlosen Charismatiker ohne jedes Gewissen auf, der in vielen
Aspekten Grundlagen für Hitlers Schreckensregime schuf. Woller gelingt hier ein
brillanter Parforce-Ritt durch die Geschichte, minutiös, mitreißend und auf eine Weise
kompakt, die niemals in Details ausufert und dennoch nichts Wichtiges beiseite lässt.
Schon früh zeigte der Sohn eines linken, atheistischen Hufschmieds und einer
Dorfschullehrerin seine Geltungssucht und seine Neigung zur radikalen Provokation, aber
auch einen Hang zum Elitedenken. Vom sehr jungen linksradikalen Gewerkschaftssekretär
stieg er bis zum Sozialistenführer auf, der dem revolutionären Flügel angehörte. Es
liest sich geradezu atemberaubend, wie Mussolini sich in seinem hemmungslosen Ehrgeiz vom
linken Agitator mit Hass aufs Bürgertum schon 1914 zu Kriegsbeginn zum radikalen
Nationalisten wandelte.
Die von ihm gegründete Zeitung Il Populo d'Italia ließ er sich ungeniert von
der Großindustrie finanzieren und bereits im ersten Kriegsjahr schließt er sich den
Fasci d'Azione Rivoluzzionari an. Aus kleinen Anfängen formt sich auch
dank der skrupellosen Stoßtrupps der Schwarzhemden - bis Herbst 1921 die
Partito Nationale Fascista (PNF) und Mussolini ist ihr Führer, eben der
Duce. Man erkennt das Vorbildhafte für die Nazis, wenn diese Brachialtruppe
das nach dem Krieg daniederliegende Italien aufmischt und vor allem den linken Gegner
gnadenlos bekämpft.
Der Autor entlarvt den Mythos vom Marsch auf Rom im Oktober 1922, der
eigentlich gar keiner war. Zumal er überflüssig wurde, weil der König in einem bis
heute rätselhaft gebliebenem Versagen Mussolini über Nacht zum Ministerpräsidenten
machte. Der Faschismus machte sich breit und Mussolini war sein ungekrönter
Alleinherrscher. Wenn er dann 1926 einen Attentatsversuch auf sich zum Anlass für
umfassende radikale Maßnahmen nutzte, um endgültig eine faschistische Diktatur zu
etablieren, erinnert das nicht von ungefähr an den Reichstagsbrand von 1933 und die
Ausnutzung durch die Nazis.
Wie aus diesen Anfängen eine totalitäre Massendiktatur erwuchs, deren verbrecherische
Gewaltsamkeit sich unter Mussolinis straffer Führung zunächst bis zum Imperialismus für
ein Volk ohne Raum ausweitete, wurde im Schatten der düsteren Geschichte des
Dritten Reichs zu Unrecht verharmlost. Dabei waren Kriegszüge wie der von Abessinien in
den 30er Jahren mit Giftgaseinsatz und Genozidwellen quasi Vorläufer dessen, was seitens
des bald befreundeten Hitlers erst noch kommen sollte. Und Woller stellte klar, dass
Mussolini stets selbst der Initiator und Hauptverantwortliche war.
Auch sein Rassismus hatte direkte Herrenmenschenzüge, wenngleich er den früh
geäußerten Antisemitismus erst in den letzten Kriegsjahren auch praktisch umsetzen
ließ. Bemerkenswert ist das ambivalente Verhältnis zu Hitler, der seinerseits vor allem
wenig von den italienischen Kriegskünsten hielt. Hier wie auch bei den fatalen Irrtümern
seiner militärischen Abenteuer offenbart sich Mussolinis nur auf den Augenblick
reagierende Politik: Wir Faschisten haben keine vorgefasste Doktrin, unsere Doktrin
ist die Tat.
Seine größenwahnsinnige Hybris, sein Potenzgehabe mit zahllosen Sex-Abenteuern, derer er
sich gern brüstete, aber auch die wachsende Blindheit für die Realität führten zu dem
schmählichen Ende als geschändeter Leichnam, vom antifaschistischen Mob kopfüber an
einer Tankstelle aufgehängt. Doch gerade Mussolinis Wüten als Diktator der Republik von
Salo von Gnaden des NS-Regimes und der Wehrmacht nach seiner sang- und klanglosen
Entmachtung im Juli 1943 lässt noch einmal das ganze Ausmaß seiner monströsen
Persönlichkeit ahnen.
Diese grandiose Biografie gehört zur Reihe Diktatoren des 20. Jahrhunderts
und stellt in ebenso spannender wie hellsichtiger Weise klar, dass der in seinen
Selbstinszenierungen heute wie ein lächerlicher Popanz wirkende Narziss einer der
übelsten politischen Führer der jüngeren Geschichte war. Oder: zwar der kleinere Bruder
Hitlers, aber gewiss nicht der harmlosere.
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