BRIAN MORTON: „DAS LEBEN DER FLORENCE GORDON“


Einen solch herrlichen Unsympath findet man selten als Hauptfigur eines Romans wie diese knapp 75-jährige New Yorkerin. US-Erfolgsautor Brian Morton stellt sie in den Mittelpunkt seines neuen Werkes unter dem Titel „Das Leben der Florence Gordon“.
Florence will ihre Memoiren schreiben, denn sie kann auf ein recht erfolgreiches Leben zurückschauen. Allerdings sieht sie zwei Punkte, die dagegen sprechen: sie ist alt und sie ist eine Intellektuelle. Als Drittes spricht gegen ein Interesse der Leserschaft, dass sie obendrein eine überzeugte Feministin war und ist. Sie empfand es jedoch als großes Glück, dass sie in den 60er Jahren eine junge Frau gewesen war und all die Aufbruchzeiten mit sexueller und sonstiger Befreiung unmittelbar miterlebt hat.
Doch immer war sie auch unverblümt, eitel und eine Kratzbürste gewesen, die stets so lebte, wie es ihr gefiel. Sie genießt es geradezu, vollkommen unausstehlich zu sein, und am liebsten für sich allein, um ungestört arbeiten zu können: „Menschen – wofür brauche ich die noch mal?“ Da passt es auch ins Bild, dass sie eingangs auf eine Überraschungsparty zu ihrem erst später liegenden Geburtstag gelockt wird und diese prompt nach wenigen Minuten wieder verlässt.
Und das, obwohl sogar eigens ihre Enkelin Emily endlich die Großmutter kennenlernen wollte, nachdem sie und ihre Mutter Janine bereits vor Monaten nach New York gezogen sind. Schon bis hierhin sprüht dieser Roman auf intellektueller Ebene, ohne dabei abgehoben zu wirken. Die Alte ist nun mal grantig und von jeher authentisch die kompromisslose Geistesarbeiterin.
Um so mehr nervt sie die Bewunderung von Schwiegertochter Janine und als Sohn Daniel auch noch aus Seattle herzieht, empfindet sie das eher als Zumutung. Als wackerer Polizist ist er für sie ohnehin eher eine Enttäuschung und nun kriselt es auch noch in seiner Ehe. Einzig Emily gelingt eine gewisse Annäherung, weil sie selbst eine intellektuelle Ader hat und ihrer Großmutter mit ihren gerade 19 Jahren charakterlich deutlich ähnelt.
Dann aber bringt etwas Anderes Florences ebenso eigenwilliges wie beschauliches Leben durcheinander. Völlig unerwartet bricht durch eine Rezension zu ihrem Essay-Band „Betrachtungen über Frauen“ in der „New York Times“ eine Welle der Berühmtheit über sie herein. Als „nationales Kulturgut“ und „unbesungene Heldin des amerikanischen Geisteslebens“ gerühmt, muss sie sich bald auf Lesereisen und Podiumsdiskussionen einlassen.
Während sie einerseits Emily für Recherchearbeiten einspannt – ohne sie zu nah an sich heranzulassen – genießt sie andererseits den Neid ihres Ex-Ehemanns, eines Möchtegern-Schriftstellers. Und schließlich bestätigt ein folgenreicher Unfall ihre Abscheu gegen zu viel menschliche Nähe, als sie vor einer aufdringlichen Verehrerin flüchten will und sich das altersschwache Fußgelenk verletzt.
Auch ansonsten aber bleibt sich Florence Gordon treu und sie gewährt konsequenterweise bei aller sprachlichen und inhaltlichen Brillanz kein Happyend. Fazit: wer es anspruchsvoll und mit viel intellektuellem Witz mag, findet hier einen souveränen Lesegenuss.

# Brian Morton: Das Leben der Florence Gordon (aus dem Amerikanischen von Gesine Schröder); 334 Seiten; Insel Verlag, Berlin; € 21,95

 
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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