YANN MARTEL: DIE HOHEN BERGE
PORTUGALS
Die hohen Berge Portugals heißt der neue Roman des kanadischen Erfolgsautors
Yann Martel. Allerdings sind das gar keine wirklich hohen Berge dort im Nordosten, sondern
eine grasige Hochebene. Und zweitens handelt es eigentlich mehr um drei Novellen, die
jedoch sind bei allen Unterschieden in Ton und Qualität auf großartige Weise miteinander
verknüpft.
In alle drei Fällen geht es um die Trauer um geliebte Menschen, dennoch hat dieses Buch
weniger Melancholisches als vielmehr Philosophisches. Aber auch eine gehörige Portion
Slapstick gerade beim Auftakt, wenn der Museumskurator Tomás Lobo eine Autoreise
unternimmt, die es in sich hat. Man schreibt das Jahr 1904 und der geliehene Renault mit
dem 14 PS-Motor ist ein primitives Wunderwerk, das Tomás kein bisschen beherrscht.
Der Witwer, der kürzlich Frau, Sohn und Vater verloren hat, neigt aber ohnehin zu
ungewöhnlichen Reaktionen. So bestand sein Aufbegehren gegen diese Schicksalsschläge
darin, fortan rückwärts zu gehen. Wirklich komisch wird dann jedoch die Fahrt von
Lissabon zu den titelgebenden Bergen, meist im ersten Gang, mal mit Plattfuß, mal mit
Wegeshindernissen, mal mit dem Zusammentreffen mit verärgerten Bauern.
Ähnlich skurril ist sein Reiseanlass. Er hofft, das seltsame Kruzifix eines Pfarrers zu
finden, der dieses einst als Missionar bei den Sklavenhändlern in Afrika geschnitzt haben
soll. Doch die wundersame Reise endet schließlich mit einem tragischen Unfall, als er
einen kleinen Jungen überfährt. So relativ real all dies noch erscheinen mag, geht der
Sprung in die zweite Geschichte in die Silvesternacht 1939 im Nordosten Portugals ins
Surreale.
Hier arbeitet der Pathologe Eusebio Lozora auch in dieser Nacht noch im Krankenhaus, als
ihm seine verstorbene Ehefrau Maria erscheint. Sie diskutiert mit ihm in der einsamen
Pathologie über die erstaunlichen Zusammenhänge zwischen den Evangelien und den
Kriminalfällen von Agatha Christie. Doch die Fremde, die Eusebio besucht, kaum dass seine
Verflossene verschwunden ist, hat noch weitaus Skurrileres zu bieten: ihren toten Gatten
in einem Koffer, den Eusebio bitte obduzieren möge.
Und es folgt jene alles miteinander verbindende Geschichte aus dem Jahr 1981, in dem der
kanadische Politiker Peter Tovy auf den Spuren seiner einst von hier nach Amerika
ausgewanderten Eltern in die Tras-os-Montes, so der korrekte Name des Hochlandes, fährt.
Zunächst aber schickten seine Kollegen den frisch Verwitweten zu einer
Schimpansen-Aufzuchtstation in Oklahoma, um auf andere Gedanken zu kommen.
Mit dem verrückten Ergebnis, dass sich Tovy geradezu verliebt in den Affen Odo. Mit
diesem seltsamen Gefährten also geht Tovy nun auf die Reise und wie schon in seinem
Welterfolg Schiffbruch mit Tiger spielt die besondere Beziehung zwischen
Mensch und Tier wieder eine zentrale Rolle. Hier schließt sich denn auch der Kreis der
drei Geschichten, die bei allen tragischen Elementen doch nie melodramatisch werden,
sondern vielmehr mit viel Lebensweisheit und einer gediegenen Art von Frohsinn durchsetzt
sind.
Fazit: ein wunderbares Leseerlebnis, das ganz gewiss noch lange nachhallen wird.
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