REINHARD JIRGL: “OBEN DAS FEUER, UNTEN DER BERG“


Eine junge Frau hockt an einem winterlichen Grab, fassungslos, dass da unten ihre fremden Eltern liegen. Mit drei Jahren war sie von staatstreuen Eheleuten adoptiert worden und erfuhr erst viel später die Gründe. Wegen Spionage hatte man Irma und Alois Berger 1959 verurteilt und nach der späten Amnesty 1979 kamen sie alsbald auf ungeklärte Weise ums Leben.
Das ist der düstere Einstieg in Reinhard Jirgls neuen Roman „Oben das Feuer, unten der Berg“, in dem der Büchner-Preisträger einmal mehr ein verdrängtes finsteres Thema aus DDR-Zeiten ans Licht zerrt. Als Rahmen dient die Recherche eines Berliner Kommissars wegen eines Serienmörders, denn die vom Adoptivvater vermisst gemeldete Theresa könnte das fünfte Opfer sein.
Die eigentliche Geschichte mit ihren verschiedenen Ebenen beginnt in den 50er Jahren, als die Bergers, Nachkommen enteigneter Bauern, entdecken, dass ihr örtlicher kommunistischer Parteisekretär eine sehr konkrete NSDAP-Vergangenheit hat. Fatalerweise machen sie dies in der West-Presse publik. Was sie wegen Spionage in den Knast bringt und ihr Leben quasi auslöscht. Theresa, die man ihnen wegnimmt, erfährt erst als Erwachsene, was man mit den „Staatsfeinden“ gemacht hat.
Da hat sie selbst längst eine ebenso glänzende wie heikle Karriere als promovierte Historikerin hinter sich. Ihre Forschungsarbeit für allergeheimste Staatsarchive hatte mit solch aberwitzigen Staatspraktiken zu tun, dass diese selbst nach dem „Großen Bürokratischen Umbau“ - ein Jirglscher Euphemismus für die Wende von 1989 – unter allerstrengster Geheimhaltung bleiben mussten. Die Mitwisserin unglaublicher Dinge wird mit der Behörde abgewickelt und da Versuche, wieder Fuß zu fassen, hintertrieben werden, taumelt sie ins Abseits bis hin zur Prostitution.
Eine völlig andere Lebenslinie hatte dagegen Theresas jüngerer Bruder – von dem sie nichts wusste – denn der im Knast geborene Junge namens Willfried („mit-2-L“) landet nach einer verrohenden Odyssee durch die berüchtigten Kinder- und Jugendheime der DDR in einer Geheimeinheit der Staatsmacht. Man spürt die geschwisterlichen Parallelen, wernn er statt hinter Gittern zu darben zum privilegierten Mitarbeiter der KOZERO GmbH („Kommerzielle Zersetzung der Opposition in der DDR“) ausgebildet wird.
Eine weitgehend verleugnete Tatsache steckt auch hinter Willfrieds todbringender Berufsausübung mit Ungeheuerlichkeiten, die hier auch wegen des hochspannenden Fortgangs und Finales des Romans nicht näher beschrieben werden sollen. Da setzt es schließlich Geständnisse, die dem Kommissar den Beruf verleiden und den Leser beklommen zurücklassen, denn die Hintergründe sind ebenso unglaublich wie intensiv unterdrückt und wahr.
„Oben das Feuer, unten der Berg“ ist ein großer und wichtiger Roman. Wenn Reinhard Jirgl bei aller Wortgewalt nur nicht auf seinen doch sehr entbehrlichen Sprachmanirismen bestünde, die den Lesefluss des so fesselnden Geschehens zuweilen arg versauern. Viele seiner Leser wären ihm gewiss dankbar dafür und ihre Zahl würde ebenso gewiss noch deutlich anwachsen.

# Reinhard Jirgl: Oben das Feuer, unten der Berg; 288 Seiten; Carl Hanser Verlag, München; € 22,90

 
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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