ELEANOR CATTON: DIE
GESTIRNE
Mit gerade 28 Jahren wurde die neuseeländische Autorin Eleanor Catton als bisher jüngste
Gewinnerin mit dem renommierten Booker-Prize ausgezeichnet. Nun liegt ihr voluminöses
Prachtwerk unter dem Titel Die Gestirne auch auf Deutsch vor und dürfte hier
ebenfalls für Furore sorgen.
Die überaus komplexe Geschichte spielt im Hafenstädtchen Hokitika im Jahre 1866, also
zur Zeit des Goldgräberrausches am anderen Ende der Welt. Am 27. Januar kommt der junge
Schotte Walter Moody nach schlimmer Überfahrt durch die Tasman-See an und trifft im
eigentlich reservierten Rauchzimmer des örtlichen Hotels auf zwölf Gentlemen, die kaum
unterschiedlicher sein könnten. Geheimnisvoll palavern sie um ein Verbrechen, dem der
erfolgreiche Goldsucher Crosbie Wells offenbar zum Opfer gefallen ist.
Dass es zwölf sind und dass jedes Kapitel des breit gefächerten Epos mit bedeutsamen
Überschriften versehen ist, hat seinen triftigen Grund in dem Geniestreich der Autorin.
Die Geschehnisse werden nämlich von den zwölf Protagonisten der nächtlichen Versammlung
berichtet. Vor die Einleitung hat Eleanor Catton dazu eine Liste der wichtigsten
handelnden Personen gesetzt, die dabei jeweils den Sternen, den Planeten und den
dazugehörigen planetarischen Häusern zugeordnet sind.
Diese astrologische Konstruktion klingt kompliziert, sorgt jedoch für eine sublime
Sogwirkung, denn die komplexen Beziehungen der Gestirne untereinander finden ihren
kongenialen Niederschlag in den Charakteren bis hin zu einer an sich unmöglichen
Liebesgeschichte. Das mag anstrengend klingen und tatsächlich fordert diese Geschichte
von einer Mondphase bis zur nächsten einiges an Konzentration die aber wird
wahrlich belohnt.
Immerhin geht es gleich um mehrere Verbrechen. So ist ein reicher Mann spurlos
verschwunden, im Hause eines berüchtigten Säufers wurde ein riesiger Schatz gefunden und
warum hat Anna Wetherell, eine opiumsüchtige Hure, versucht sich umzubringen? Walter
Moody wird von den Zwölf mit bohrender Neugier empfangen, dann jedoch selbst eine Art
Kulminationspunkt für das gesamte Geschehen als Vertrauensperson.
Jeder in dem verregneten Nest scheint mit jedem und alles mit allem verbunden zu sein.
Raffiniert spielt die Autorin dabei mit den Erzählperspektiven. Vor allem aber sind die
Protagonisten durchweg trügerisch, denn jeder schildert die Geschehnisse anders und wer
eben noch als ein Guter erschien, kann gleich zu den Verdächtigen oder Bösen gehören.
In irgendeiner Weise verwickelt in die Verbrechen aber scheint jeder zu sein.
Wenn der Leser dann womöglich zweifelt, ob so viel Zufall sein kann und so viel Schicksal
glaubhaft ist Eleanor Catton wirbelt beides wie im richtigen Leben durcheinander.
Und das tut sie auf faszinierende Weise in einem breiten, im besten Sinne altmodischen
Erzählstrom, der sich Zeit lässt. Das ist, als hätte sie im Geiste eines Charles
Dickens oder Joseph Conrad eine Art neuseeländischen viktorianischen Roman erfunden.
Das mag sich verrückt und aus der Welt gefallen anhören, das jedoch macht gerade den
Charme dieses schließlich nicht von ungefähr mit dem Booker Prize ausgezeichneten Romans
aus.
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