FREDERICK
TAYLOR: COVENTRY
Das Codewort hieß zynischerweise Mondscheinsonate und tatsächlich war es
eine klare, mondbeschienene Nacht, als am 14. November 1940 eine Katastrophe über die
mittelenglische Industriestadt Coventry hereinbrach, die zu einem der spektakulärsten
Symbole des Zweiten Weltkrieges wurde.
Es war 19:10 Uhr, als die ersten Bomber der Luftwaffen-Kampfgruppe 100 die Stadt
erreichten und ihre verheerende Ladungen abwarfen. Bei den insgesamt 515 Anflügen über
mehr als zehn Stunden kamen 570 Menschen ums Leben, über 800 wurden schwer verletzt und
die gesamte historische Innenstadt wurde restlos zerstört.
Dass Coventry eine neue Strategie des Bombenkriegs einläutete und zugleich einen noch
ungeahnten Auftakt setzen sollte, beschreibt Frederick Taylor in seinem Sachbuch
Coventry. Der Luftangriff vom 14. November 1940: Wendepunkt im Zweiten
Weltkrieg. Eingangs beschreibt der versierte Historiker und Fellow der Royal History
Society das Werden der altehrwürdigen Stadt von der Blüte im Mittelalter bis zum gerade
auch für die militärische Produktion wichtigen Industriestadt.
Damit war Coventry durchaus ein legales Angriffsziel, wobei sich die starke Durchmischung
von Wohn- und Industriearealen wie auch die in diesem Kriegsstadium noch außerordentlich
schwach entwickelte Luftabwehr die wenigen Nachtjäger waren noch ohne Radar und
damit quasi blind ähnlich schlimm auswirkten wie die mangelhaften
Schutzvorrichtungen für die Bevölkerung. Fataler noch wirkte sich ein gravierender
Strategiewechsel auf deutscher Seite aus, für den diese Nacht der Auftakt war.
Schon vorher und auch später gab es Angriffe auf die Stadt, doch bis zum 14. November
griff die Luftwaffe vornehmlich rein militärische Ziele an, um die RAF auszuschalten.
Voreilig, wie sich später herausstellen sollte, sah die deutsche Kriegsführung diese
Aufgabe als hinreichend erledigt an und verlegte sich nun auf strategische Bombardements,
um den militärisch-industriellen Komplex zu zerstören. Zivile Verluste wurden dabei
nicht nur in Kauf genommen, es sollten ja auch Furcht und Schrecken verbreitet werden.
So hatte der 14. November 1940 qualitativ und quantitativ eine ganze andere Dimension als
bisherige Luftangriffe. Mithilfe eines neu entwickelten Funkpeilsystems mit dem
sogenannten X-Gerät fanden die Bomberströme exakt zum Ziel. Und der rollende Angriff
dauerte derartig lange, dass Maschinen der ersten Wellen sogar nach dem Heimflug
aufgeladen wurden und erneut angriffen.
Bis heute aufrecht erhaltene Gerüchte, Premierminister Winston Churchill habe Coventry
aus Geheimhaltungsgründen gewissermaßen geopfert, widerlegt Taylor
plausibel. Die britische Spionageabwehr hatte damals den deutschen Geheimcode
entschlüsselt, fürchtete aber angeblich, ein zu offenes Reagieren auf den Angriff
könnte den unschätzbaren Vorteil, jeglichen Funkverkehr des Militärs entschlüsseln zu
können, wertlos machen. Nach Taylors Darlegung wusste die Regierung allenfalls Stunden
zuvor Bescheid und schwieg dann vermutlich, um eine Panik zu vermeiden.
Das Ausradieren der gesamten Innenstadt Coventrys mit dem besonderen Fanal der total
zerstörten Kathedrale in hellen Flammen aber sollte für den Kriegsgegner noch eine
folgenreiche Rückkoppelung nach sich ziehen. Einerseits wurde der Durchhaltewillen der
britischen Bevölkerung sogar noch gestärkt, andererseits übernahm die RAF später genau
diese Coventry-Taktik ganzer Flächenbombardements mit Nachtangriffen
hunderter Bomber. Da wurden Städte wie Berlin, Hamburg, Kön und etliche andere um ein
Vielfaches massiver coventri-siert, wie es die Nazi-Propaganda 1940 noch
zynisch genannt hatte.
Der Autor legt all dies ebenso detailliert wie sachlich dar, spart dabei aber auch nicht
an Kritik an den unzureichenden Schutzvorkehrungen in jenen Kriegsmonaten. Fazit: zur 75.
Wiederkehr dieses einschneidenden Kriegsereignisses ist dies ein angemessenes und
hervorragend verfasstes Sachbuch.
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