HILMA WOLITZER: CHARMANTER
MANN AUS ERSTBESITZ
Während man die US-Autorin Meg Wolitzer als Verfasserin hervorragender Romane hier
bereits kennt, hat ihre nicht minder erfolgreiche Mutter Hilma leider erst jetzt ihr
Debüt auf Deutsch. Das jedoch lässt gleich in mehrerer Hinsicht staunen, denn die
Autorin schreibt mit ihren bereits 84 Jahren nicht nur einen hinreißend gelungenen Roman,
der ist auch ganz und gar nicht angestaubt sondern sehr gegenwärtig.
Mit dem deutschen Titel Charmanter Mann aus Erstbesitz tut man dem Werk jedoch
nicht unbedingt einen Gefallen, denn er klingt arg nach oberflächlicher
Beziehungskomödie. Tatsächlich aber ist es ein Roman um ein ernstzunehmendes Thema, das
Hilma Wolitzer mit viel Fingerspitzengefühl ebenso ernsthaft und angemessen wie auch mit
dezentem Humor angereichert umgesetzt hat.
Im Mittelpunkt steht Edward Schuyler, den man eingangs beim Bügeln kennenlernt. Dabei
fühlt er sich seiner kürzlich nach kurzer schwerer Krankheit verstorbenen Frau Bee
besonders nah. 20 Jahre waren sie sehr glücklich und auch Edwards Verhältnis zu Bees
beiden Kindern aus erster Ehe sowie zur betagten Schwiegermutter Gladys könnte kaum
besser sein.
Nun schweifen die Gedanken zurück zu der Zeit des Kennenlernens, als Beide bereits um die
40 waren und vor allem Edward nach diversen kleinen Affären und einer heftigen
Enttäuschung mit einem solchen Glück gar nicht mehr gerechnet hatte. Vor der Ehe mit Bee
war er überzeugt gewesen, die eine große Liebe erlebt und auf ungewöhnlich schnöde
Weise verloren zu haben. Mit Mitte 20 sollte die leidenschaftliche Verbindung mit der
attraktiven Laurel vor den Traualtar führen und genau dort ließ sie ihn dann
vergebens warten.
Dass die Einsamkeit des immer noch gut aussehenden 62-Jährigen erträglich bleibt und er
nicht an neue Verbindungen denkt, liegt vor allem auch daran, dass er seinem Beruf als
Biologielehrer noch immer mit Begeisterung nachgeht. Nach ersten Verkupplungsversuchen
durch gute Freunde sind allerdings inzwischen auch seine Stiefkinder der Überzeugung,
dass Edward zu jung für dauerhaftes Alleinsein sei. Prompt schalten sie eine
einschlägige Zeitungsannonce.
Die Flut der eintrudelnden Angebote entspricht Edwards Status als Mannsexemplar mit
Bildung, solidem Hintergrund und passabler Erscheinung. Nur langsam lässt er sich auf
erste Gehversuche ein und immer wieder erscheinen auch Passagen aus der Zeit mit Bee aus
einem angenehmen aber unspektakulären Leben. Was er dagegen mit einigen der jetzigen
Anwärterinnen auf eine Zweisamkeit erlebt, hat zuweilen skurrile oder auch
bemitleidenswerte Aspekte.
Da redet eine Witwe über nichts als ihren Verflossenen, während ihn eine andere mit sehr
direkten Sexavancen ebenso abschreckt wie eine, die ihr wahres Alter von 71 Jahren mit
reichlich vielen schönheitschirurgischen Eingriffen zu übertünchen versuchte. Geradezu
spannend wird es für Edward jedoch, als sich eine Kontaktperson als Laurel herausstellt
eben jene, die ihn vor fast 40 Jahren mit gebrochenem Herzen vorm Altar stehen
ließ!
Hilma Wolitzer schildert das Alles ebenso stilvoll wie lebensnah, wobei auch das
Liebesleben der allesamt reiferen Menschen mit wohltuend offener Natürlichkeit
beschrieben wird. Ob Edward und Laurel nun doch noch ein Paar werden und ob es ein
Happyend gibt, sei hier schon deshalb nicht verraten, weil dieser kultivierte Roman bis
zuletzt angenehm fesselt, obwohl er ohne wilde Achterbahnfahrten der Ereignisse auskommt.
Fazit: ein kleines Meisterwerk und in seiner Realitätsnähe ein wahrer Lesegenuss.
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