RICHARD
FLANAGAN: DER SCHMALE PFAD DURCHS HINTERLAND
Mit seinem fulminanten Roman Der schmale Pfad durchs Hinterland, für den er
mit dem britischen Man Booker Prize 2014 ausgezeichnet wurde, würdigt Erfolgsautor
Richard Flanagan seinen Vater.
Als im Zweiten Weltkrieg australische Kriegsgefangene neben hunderttausenden von zivilen
Zwangsarbeitern die berüchtigte Burma Death Railway 415 km durch den
Dschungel bauen mussten, kamen dabei unter anderem schätzungsweise 13.000 der Soldaten
ums Leben und Flanagans Vater gehörte zu den wenigen Überlebenden. Er war das Vorbild
für Dorrigo Evans, einen jungen attraktiven Arzt, den man im Roman allerdings zunächst
als jetzt 77-jährigen Veteranen und hochdekorierten Kriegshelden kennenlernt.
Ein frustrierter alter Mann, den auch allerlei späte Affären weder vom Frust über eine
laue Ehe noch von den Traumata der Kriegszeit heilen können. Nun erinnert er sich an
seine unerfreuliche Jugend auf der kargen Insel Tasmanien und den recht glückhaften
Aufstieg zum Mediziner an der Universität von Melbourne.
Auch wenn es der Hüne dann bis zum hochrangigen Sanitätsoffizier bringt, den wahren
Lichtblick seines Lebens bescherte ihm die verrückte Liebesaffäre mit Amy. Die ist zwar
durch ihre Heirat seine Tante, tatsächlich aber mit ihren 24 Jahren sogar jünger als er.
Wenn Flanagan dieser Geschichte anfangs recht viel Raum gibt, erweist sich das in diesem
recht komplexen Roman gleichwohl als konsequent. Der stete Gedanke an diese Liebe ist
quasi die einzige Nahrung für Hoffnung und Überlebenswillen in der Hölle, die auf ihn
zukommt.
Nach dem Fall Singapurs wird Evans mit rund 1000 Kameraden von den Japanern in
Dschungellager gebracht, um mit primitiven Mitteln die dringend benötigte Eisenbahnlinie
zu bauen. Anfang 1943 beginnt für die jungen Männer die asiatische Hölle in
Siam (heute Thailand), denn zu den elendigen äußeren Lebensumständen im
sumpfig-stickigen Urwald kommt die endlose systematische Drangsalierung durch die brutalen
japanischen Peiniger.
Als wären schwere Arbeit bei mangelhafter Ernährung und Hygiene, Cholera, unzähligen
Parasiten und häufigem Dauerregen nicht genug Quälerei, legen die Eroberer eine
sadistische Herrenmenschenattitüde an den Tag. Mit ständigem Prügeln, Foltern und
Demütigungen führen sie den reihenweise Sterbenden ihre Weltanschauung vor, nach der es
eine ganz und gar ehrlose Schande ist, sich dem Feind ergeben zu haben.
Evans ist in diesem unsäglichen Elend trotz allem als Sanitätsoffizier noch
vergleichsweise privilegiert. Mit einfachsten Mitteln und ohne jedes Betäubungsmittel
versucht er, den ein oder anderen am Leben zu erhalten und eine überstandene
Blinddarm-Operation gilt als wahres Wunder. Zugleich muss er miterleben, wie er drinnen
einen Gefangenen mühsam verarztet, wärhend ein anderer vor der Baracke gerade zu Tode
geprügelt wird.
So schwer erträglich das zu lesen ist, gehören zu den brillantesten Passagen des so hoch
authentischen Romans jene, in denen man in die Gedankenwelt einiger japanischer Offizier
schaut. Da bringen sich einige nicht nur durch Drogen in beste Stimmung für ein noch
intensiveres Ausleben blanker Willkür, der barbarischste von allen ist jener, der sich an
seiner perfektionierten Kunst des Enthauptens mit dem Schwert aufgeilt. Allen gemeinsam
aber ist ein genereller Rassendünkel.
Mag Evans dieses schier unerträgliche Grauen auch trotz allem überstanden haben, es wird
nur zu verständlich, warum er diese Traumata nicht mehr aus seinem Kopf bekommt. Und
warum so vieles Andere nach dem Überleben dieses Albtraums aus dem Ruder lief und er bis
ins Alter nicht mehr mit sich selbst ins Reine gekommen ist. Fazit: ein großer Roman mit
verbürgtem Wahrheitsgehalt, höchst verdienstvoll aber auch ganz harte Kost in seiner
nüchtern-expliziten Sachlichkeit.
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