ALBAN NIKOLAI HERBST: „TRAUMSCHIFF“


Mit 69 Jahren ist Gregor Lanmeister zwar noch nicht sonderlich alt, doch er geht seinem Ende entgegen. Mit 143 anderen Passagieren auf einem Kreuzfahrtschiff und jeder von ihnen weiß, dass er dieses Schiff – im Gegensatz zu den hunderten anderer Fahrgäste - nicht mehr lebend verlassen wird.
Gregor aber, dessen Namen man erst viel später erfährt, ist in ein totales Schweigen verfallen und wenn er hier als Ich-Erzähler fungiert, dann ausschließlich als Tagebuchschreiber in Kladden voller Beobachtungen, Überlegungen, Mutmaßungen und täglich beginnend mit der peniblen Angabe der aktuellen nautischen Daten der Reise. Das ist die Ausgangsposition von Alban Nikolai Herbsts neuem Roman „Traumschiff“.
Für den der Autor eigens eine Fahrt mit der MS „Astor“ unternahm, um ein authentisches Bild vom Alltag in solch einem sehr eigenen Kosmos zu erhalten. Gleichwohl erweist sich der Ich-Erzähler als mäßig zuverlässig, so dass nicht sicher scheint, ob die 144 nicht in Wahrheit Insassen eines Altenheims sind. Was aber wirklich zählt, ist dieser intensive innere Monolog mit all seinen Gedankenausflügen.
Mag Gregor Lanmeister auch dem körperlichen Verfall rapide entgegengehen, so erweist er sich geistig als ausgesprochen gesund und munter, ja, immer wieder auch fähig zu souveränen Zeichendeutungen und Schilderungen seiner Umwelt. Im Mittelpunkt seines Interesses stehen allerdings etliche illustre Figuren aus dem Kreis der 144 von Lady Porto über Buffalo Bill bis hin zu dem sogenannten Clochard. Als Gefangener seines Dahinscheidens gönnt er sich aber insbesondere auch noch eine letzte Liebe, denn in all seinen Überlegungen ist er zu der weisen Erkenntnis gelangt: „Sehnsucht ist so viel stärker als die Realität.“
Das hat er zur Maxime seiner letzten Wochen oder Monate gemacht und in seinen Fokus die junge ukrainische Bordpianistin gestellt. Eine unerreichbare Liebe, natürlich, zumal die Angebetete nicht einmal etwas davon erfährt. Doch sie gehört zu den bewussten Abschweifungen von einer Realität, die in ihrer Unabänderlichkeit einfach hingenommen werden muss.
Dazu passt denn auch, wie sehr der auch als Passa-gier/Patient noch immer eigenwillige und sogar widerborstige Gregor sich der Vergangenheit entzieht. Was man da erfährt von einer hässlichen Scheidung, den Frauengeschichten, dem schlechten Verhältnis zum Sohn oder auch über das erfolgreiche aber wenig rühmliche Berufsleben, macht ihn nicht zum Sympathieträger. Zugleich wird er zum Symbol für die trotzige Abkapselung eines Menschen auf der Reise in den Tod, bei der er sich auf sich selbst, auf letzte schöne Dinge und ein Ende mit einem Rest an innerer Würde konzentriert.
Erstaunlicherweise macht dieser Roman entgegen des Themas nicht wirklich traurig, nachdenklich dagegen schon. Fazit: trotz einiger Manierismen der Prosa eine starke, aber keine keine leichte Lektüre.

# Alban Nikolai Herbst: Traumschiff; 319 Seiten; mare Buchverlag, Hamburg; € 22

 
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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