TILMANN LAHME: „DIE MANNS“


„Was für eine sonderbare Familie sind wir! Man wird später Bücher über uns – nicht nur über einzelne von uns – schreiben.“ Mit diesem Satz in einem seiner späten Tagebücher sollte der Schriftsteller Klaus Mann (1906-1949) recht behalten.
Eine Familiensaga um einen Literaturnobelpreisträger, seine ebenso schöne wie starke Frau, sechs Kinder mit markanten Charakteren, Macken und Talenten, Ruhm und Narzissmus, Luxus und Exil, Exzessen und Lügengebilden, Gefühlskälte und emotionale Wirren und bei all dem ein endloser Hang zur Selbstinszenierung – all das findet sich in Tilmann Lahmes „Die Manns – Geschichte einer Familie“ und doch ist es kein Roman.
Vielmehr ist dem Germanisten und Historiker eine grandiose Familienbiographie gelungen, wie sie ihresgleichen sucht. Lahme hatte für sein Werk allerdings eine einzigartige und erstmals zur Verfügung stehende Quelle zur Verfügung: erst vor zwei Jahren wurden im Nachlass von Katia Mann im Züricher Thomas-Mann-Archiv rund 3000 Familienbriefe entdeckt, die nun penibel ausgewertet werden konnten. Dies war nicht nur zur Aufhellung des oft unübersichtlichen Geflechts zwischen sämtlichen – stets sehr mitteilsamen – Protagonisten außerordentlich aufschlussreich. Von unschätzbarem Wert ist dabei gerade die Unmittelbarkeit und zumeist ungefilterte Offenheit dieser Dokumente.
Und der Biograph weiß damit umzugehen. Bewusst geht er auf die großen Werke Thomas Manns wie auch denen der Söhne Klaus und Golo nur im Rahmen des Kontextes ein. Wobei auffällt, wie gerade der spröde Patriarch Familiäres und sogar die Kinder selbst nur wenig verschleiert in einzelne seiner Werke einbringt. Wobei ihm Klaus Mann aber gar nicht viel nachsteht, wenn man an seinen größten, wenn auch erst posthumen Erfolg „Mephisto“ denkt, in dem er seinen zeitweiligen Schwager Gustav Gründgens auf wenig schmeichelhafte Weise verewigt.
Doch Lahme beschränkt sich nicht auf den großen Meister und Klaus als das mit Abstand schwierigste seiner durchweg komplizierten Kinder. Er verteilt die Manns auf ihre acht Rollen mit ihren acht Blickwinkeln und ihren lebenslangen komplexen Interaktionen. Und dieser Familienclan, wie kein Romancier ihn besser hätte erfinden können, führt ein recht öffentliches Leben. Wie Thomas Mann von den Kindern regelrecht gedrängt werden muss, um sich aus dem bereits erzwungenen Exil heraus auch offiziell gegen das Nazi-Regime zu positionieren, liest sich ähnlich spannend wie die verschiedenen Haltungen nach dem Krieg.
Wie diese „amazing family“ - ein amerikanisches Kompliment aus dortigen Exilzeiten – miteinander umging, wie die Kinder mit all ihren Macken, Drogenkonsum, den wechselnden und selten glücklich verlaufenden Beziehungen und auch beruflich sehr unsteten Lebensläufen teils über den angeblich so abweisenden, gefühlskalten Vater schimpften, dabei jedoch allesamt von seinem Ruhm und Vermögen profitierten, das sie mit unzähligen Geldforderungen an die Mutter anzapften, das offenbart sich als absolut romanhaft.
Hinzu kamen die speziellen Veranlagungen, wo gleich zwei Söhne ebenso homosexuell sind wie der Dichterfürst selbst – zuzüglich einer bisexuellen Tochter – und das Alles mit fester Hand und unendlicher Toleranz von der liberalen, aus großbürgerlichem Hause stammenden Mutter zusammengehalten. Dabei gelingt es dem Biographen wie in einem exzellenten Film, diese zuweilen nur schwer zu durchschauenden Verknüpfungen quasi durch eine souveräne Schnitttechnik dramaturgisch zu einer atemberaubenden Dichte mit greifbaren Abläufen in realer Chronologie zu machen.
Mit nüchterner Sachlichkeit zeichnet er das faszinierende Bildnis dieser deutschen Vorzeigefamilie schlechthin, die vor dem Hintergrund des 20. Jahrhunderts lebt, leidet, Einfluss hat und ausübt und dabei sich selbst untereinander gewissermaßen eine Romanvorlage nach der anderen liefert – Selbstinszenierung jedoch gehörte zu einem ihrer herausragendsten Talente.
Fazit: ob man große Biographien schätzt, historische Themen bevorzugt oder ein bewegendes Familienepos – dieses Werk wird jeden Genießer exquisiter, anspruchsvoller Literatur begeistern und selbst versierten Mann-Kennern die ein oder andere neue Sichtweise eröffnen.

# Tilmann Lahme: Die Manns – Geschichte einer Familie; 479 Seiten, div. Abb.; S. Fischer Verlag, Frankfurt; € 24,99

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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