DENNIS LEHANE: „AM ENDE EINER WELT“


Dennis Lehane ist seit Jahren der unbestrittene König des amerikanischen Krimi-noir. Nun gibt es eine Fortsetzung zu seinem Meisterwerk „In der Nacht“. Hatte jenes zur Zeit der Prohibition bis Anfang der 1930er Jahre gespielt, steht der hartgesottene irisch-stämmige Joe Coughlin auch diesmal wieder im Mittelpunkt.
Die Verhältnisse haben sich jedoch stark verändert, denn man schreibt das Jahr 1943, offene Mafia-Kriege sind Geschichte. Stattdessen stehen die USA mitten im Zweiten Weltkrieg, was cleveren Gangstern jedoch immer noch allerlei Möglichkeiten für lohnende krumme Geschäfte offenlässt. Auch hier in Tampa, Florida, wo Coughlin die Wandlung vom unmittelbar aktiven, knallharten Mobster zu einem selbst in der besseren Gesellschaft geschätzten Geschäftsmann gemeistert hat.
Was ihn allerdings nicht daran hindert, als eine Art Berater beste Beziehungen zu seinen alten Freunden zu pflegen, insbesondere zu seinem Jugendzeitkumpel Dion, Boss des Bartolo-Clans. Ansonsten ist sein inzwischen zehn Jahre alter Sohn Tomas sein Ein und Alles, erinnert aber auch immer wieder schmerzlich an seine große Liebe, die Halb-Kubanerin Graciela (wurde in „In der Nacht“ ermordet). Was ihn jedoch nicht von einer sehr intensiven – und glänzend geschilderten – erotischen Affäre mit Vanessa abhält.
Diese nach außen kühle Lady ist im Übrigen die Gattin des Bürgermeisters. Das aber macht Coughlin weit weniger nervös als seltsame Erscheinungen: von weitem sieht er wiederholt einen Jungen in altmodischen Klamotten, dessen Gesicht allerdings kann er nicht erkennen. Eine Halluzination, ein stressbedingtes Trugbild oder eine irgendwie geartete dunkle Vorahnung? Auch der Mafia-Arzt, den er aufsucht, weiß keine Abhilfe.
Doch dann trägt man Coughlin, mittlerweile 36 Jahre alt und mit sämtlichen Gangstergruppierungen im besten Einvernehmen, eine wirklich beunruhigende Meldung zu. Jemand habe den Auftrag erhalten, ihn am baldigen Aschermittwoch umzulegen. Doch wer ist so verrückt und unvernünftig, eine Goldene Gans wie ihn auslöschen zu wollen?! Womit eine fieberhafte Suche einsetzt nach denkbaren Drahtziehern und ebenso nach Gründen für einen solchen Auftrag.
Natürlich soll hier nicht verraten werden, wie sich die immer hitziger werdende Lage entwickelt oder ob der geisterhafte Junge doch noch von Bedeutung sein wird. Dennis Lehane breitet hier seine ganze Meisterschaft aus mit viel Action, viel beiläufiger Härte und Gentleman Coughlin beweist, wie wenig er seit den wilden 30ern verlernt hat. Zudem umgibt ihn der Autor mit einer Schar von so großartig angelegten Protagonisten, dass man immer wieder regelrecht bedauert, dass deren eigene Geschichte nicht noch weiter vertieft wird.
„Am Ende einer Welt“ ist eine Geschichte von Vaterliebe und Verrat, von fragwürdigen Ehrenmännern und der Vergeblichkeit, der dunklen Vergangenheit auf Dauer zu entkommen. Geschrieben ist das alles mal episch fesselnd, dann wieder atemlos mitreißend. Fazit: ein würdiger Nachfolger für „In der Nacht“ und erneut ein Spitzenwerk des Genres.

# Dennis Lehane: Am Ende einer Welt (aus dem Amerikanischen von Steffen Jacobs); 394 Seiten; Diogenes Verlag, Zürich; € 24

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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