PAUL THEROUX: „TIEF IM SÜDEN“


Paul Theroux hat die ganze Welt bereist und gilt als einer der besten Reiseschriftsteller unserer Zeit. Im Jahr 2012 aber machte sich der von Kindheit an in den Neuenglandstaaten beheimatete Erfolgsautor nach all den Fernreisen im eigenen Land auf, um den Süden der USA zu erkunden, den er nur aus berühmten Romanen kannte.
Schon die erste mehrwöchige Entdeckungstour nahm ihn derartig gefangen, dass er ihr drei weitere Trips folgen ließ, jeweils zu einer anderen Jahreszeit. Zusammengefasst hat er seine ebenso faszinierenden wie verstörenden Eindrücke und Erlebnisse in dem großen Reisebericht „Tief im Süden. Reisen durch ein anderes Amerika“. Begleitet hat ihn dabei der Fotograf Steve McCurry, der eindringliche Schwarzweiß-Aufnahmen zu etlichen Abschnitten beisteuert.
Zu den Staaten im einst so stolzen Süden, die Theroux mit dem Auto bereiste, gehören Alabama, Arkansas, Georgia, Louisiana, Mississippi und South Carolina. Er traf auf frappierende Gegensätze von Reichtum und viel Armut, von Frömmigkeit und von einem Rassenhass, von dem er geglaubt hatte, das seien nur noch böse Bilder aus seinen Jugendzeiten in den 50er Jahren. Zugleich erlebte er bei vielen insbesondere einfachen Menschen eine bis zur Distanzlosigkeit gehende Offenheit, wo sich dann am ehesten ganz Arme - von denen er erschreckend viele entdeckte – jedem Gespräch verschlossen.
Er fuhr in die kleinen, oft heruntergekommenen Städte, stieß auf hohe Arbeitslosigkeit, Verfall und hungernde Menschen und fühlte sich im mächtigen Amerika so manches Mal an Verhältnisse wie in den oft bitterarmen rückständigen Ländern erinnert, die er auf vielen Reisen in Afrika und Asien kennengelernt hatte. Wo immer er hier hinkam waren schlechte Bildung und mangelnde Gesundheitsversorgung, Drogenkonsum und Waffenbesitz allgegenwärtig.
„Es ist unmöglich, die Landstraßen im Süden zu befahren, ohne regelmäßig in Kontakt mit der amerikanischen Unterschicht zu kommen“, stellt Theroux mit bitterer Sachlichkeit fest. Dabei ist er nie als Tourist oder Voyeur aufgetreten, hat sich ernsthaft und eingehend mit den Menschen unterhalten, mit ihnen gegessen und die so ungeheuer ernst genommenen Gottesdienste in einer der unzähligen Kirchengemeinden besucht.
Und festgestellt, dass der Süden tatsächlich eine Sonderrolle innerhalb des Wirtschaftsriesen USA innehat, denn hier wurden die ohnehin niedrig entlohnten Einfachjobs in noch billigere Weltregionen zum Beispiel in Mexiko oder in Asien verlagert. Zudem hat der Reisende die Folgen jahrhundertelanger Rassentrennung noch immer und überall als virulent vorgefunden.
Das Alles summiert sich in diesem Reisebericht der besonderen Art zu einem widersprüchlichen und zugleich äußerst vielfältigem Gemälde von hinreißender Schönheit und verstörender Trostlosigkeit.

# Paul Theroux: Tief im Süden. Reise durch ein anderes Amerika (aus dem Amerikanischen von Reiner Pfleiderer, Franka Reinhart und Birgit Schmid); 605 Seiten, div. Abb.; Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg; € 26

 
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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