PHILIPP TINGLER: „SCHÖNE SEELEN“


Der Berliner Autor Philipp Tingler stürzt sich mit seinem neuen Roman „Schöne Seelen“ mit messerscharfem satirischem Esprit auf die Oberen Zehntausend seiner langjährigen Wahlheimat Schweiz. Zur Einführung liegt die Grande Dame der sogenannten Reichen und Schönen, Millvina van Runkle im Sterben.
Vermutlich war die jüngste der vielen Schönheits-OPs etwas misslungen oder einfach eine zu viel. So zählt sie die letzten Stunden in der noblen Privatklinik und ätzt noch einmal über Ihresgleichen. Keine weiß so viel über all die Scheinheiligkeiten, die Nimmersatten, die Kaputten und so manche verborgenen Wahrheiten. Ein letztes Mal wird sie auftrumpfen und der Bestattungsplaner rührt eine fulminante „Abdankungsfeier“ für die noble Gesellschaft auf.
Vor ihrem Abtritt aber – und während ihre reichlich geschäftstüchtige persönliche Rechtsanwältin bereits mit der Leichenfledderei begonnen hat – zitiert sie noch einmal ihren alten Freund Oskar Canow zu sich. Der erfolgsverwöhnte Schriftsteller ist ein enger Vertrauter und erfährt vom Sterbebett einige gut gehütete Geheimnisse von Millvina. Allen voran das um ihre Tochter Mildred: die sei nicht ihr leibliches Kind. Was aber sonst niemand wisse, auch die Betroffene selbst nicht.
Dieser Einführung – zwar voller funkelnder Sätze und hinreißender Offenbarungen über die Upper Class Snobity, jedoch in ähnlicher Weise arg lang geraten wie die folgende filmreife Bestattungsfeier – folgt schließlich die eigentliche Geschichte, in der sich Oskar auf ein nicht ganz unbedenkliches Spiel einlässt. Millvinas Tochter Mildred ist nicht nur ein schwieriger Typ Frau, sie ist außerdem seit langem die Ehefrau Viktors, einem eher fantasielosen wenngleich erfolgreichen Kaufmanns und engem Freund Oskars noch aus Studentenzeiten.
Spätestens jetzt hat Mildred so sehr die Nase voll von der langweiligen Ehe mit ihm, dass sie ihn vor die Wahl stellt: zum Therapeuten oder Scheidung. Viktor sperrt sich dagegen, hegt jedoch auch noch einen heimlichen Drang zum Laienschauspiel. Und drängt Oskar zu einer schrägen Vereinbarung. Der Freund solle statt seiner zu dem kauzigen, in der Society aber gerade unheimlich angesagten Seelenklempner Dr. Leonid Hockstädder zur Therapie gehen, während er selbst die Termine für seine Schauspielavancen nutzt.
Schon im Vorfeld gibt das Ansinnen reichlich Konfliktstoff mit Osakrs immer noch innig geliebter Ehefrau Lauren – wegen deren Herkunft so mancher englische Satz in die vielen Dialoge einfließt – aber auch sonst kommen erwartungsgemäß jede Menge Probleme auf. Und was Oskar als Anregung für den längst überfälligen neuen Roman erhofft, beschert ihm eher Ärger und Verdruss.
Das Alles ist zum Bersten voll mit mal entlarvenden, mal bissigen Pointen, allerdings ist das, was als Screwball-Komödie in einem gut gemachten Film sicher ein Feuerwerk an Witz, Tempo und manch giftiger Wendung geworden wäre, von denen man nicht eine Sekunde hätte missen mögen, wirft hier eher den Wunsch nach der ein oder anderen Straffung auf. Die große Schar herrlich charakterisierter Chargen, dieses Aufspießen von Selbstbetrug, Geltungsgier und hohler Aufgeblasenheit – es schlägt manche Drehung zu viel.
Wer eine mitreißende Gesellschaftskomödie erwartet, wird Tempo und einiges an Handlung vermissen. Wer dagegen diese höchst intellektuelle schonungslose Demaskierung der beschriebenen Verhältnisse mit viel sprachlichem Feuerwerk zu genießen weiß, der findet hier einen reichen Schatz vor samt so mancher virtuosen Spitzfindigkeit.

# Philipp Tingler: Schöne Seelen; 336 Seiten; Kein & Aber Verlag, Zürich; € 22

 
WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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