HELEN
MACDONALD: H WIE HABICHT
Schon als Kind war es Helen Macdonalds Wunsch, Falknerin zu werden. Ihr Vater, der
Fotojournalist Alisdair Macdonald, unterstützte diesen ungewöhnlichen Wunsch und lehrte
sie Geduld und Selbstvertrauen für diese anspruchsvolle Kunst. Auch später hatte sie
eine sehr innige Beziehung zu ihrem Vater, um so heftiger trifft sie 2007 sein
plötzlicher Tod.
Spontan beschließt die sensible 35-Jährige im heimischen Cambridge, wo sie als
Historikerin und Illustratorin an der Universität arbeitet, gegen ihre Trauer einen
Habicht abzurichten. Wozu sie bis nach Schottland fährt, um ein junges Weibchen zu
erwerben, das sie Mabel nennt. Dieser in Deutschland zum Vogel des Jahres 2015
gewählte Greifvogel steht für Kraft und Eleganz, gilt aber auch als launisch,
blutdürstig und als besonders schwierig zu zähmen.
Doch Helen Macdonald stürzt sich bewusst in dieses anspruchsvolle Abenteuer, das ihr
Leben von da an auf Jahre aufs intensivste beherrschen wird. Und es gelingt der von Jugend
an erfolgreichen Falknerin, das Alles in einer Art autobiografischem Sachbuch so grandios
zu dokumentieren, dass es unter dem Titel H wie Habicht in ihrer britischen
Heimat als Buch des Jahres 2014 hochdotierte Preise errang.
Helen gibt ihren Job auf, kapselt sich weitgehend von Menschen ab und widmet sich voll und
ganz mit allen sinnen dem Beziehungsaufbau zu Mabel. 24 Stunden am Tag beschäftigt sie
sich mit nichts anderem, beginnt die Welt wie ein Habicht zu sehen, erlebt geduldig das
vorsichtige und unendlich langsame Aneinander-Gewöhnen, jubelt über winzige Fortschritte
und muss erschütternde Rückschläge verkraften.
Es erweist sich als ungeheure Herausforderung, diesen nervösen, empfindlichen und auf
jeden Fehler nachtragend reagierenden Raubvogel abzutragen (abzurichten). Um
so faszinierender lesen sich die kleinen Triumphe, während Helen zugleich offen auch
über ihre schweren Depressionen seit dem Tod des geliebten Vaters berichtet. Da wirkt das
Abrichten Mabels gewissermaßen wie eine Psychoanalyse und genau diesen Gedanken vertrat
lange vor ihr bereits der berühmte Romancier T. H. White (1906-1964).
Berühmt für seine Romane über die Artus-Sage, hatte White 1951 mit The
Goshawk ebenfalls einen Erfahrungsbericht über seinen allerdings misslungenen
Versuch der Zähmung eines Hühnerhabichts als Buch herausgebracht. Die Autorin geht
ausführlich auf dieses Vorbild ein und vermittelt zugleich großartige Einblicke in die
hohe Wissenschaft der Falknerei an sich. Wenn sie schließlich ebenso präzise wie
unsentimental die ersten Übungen mit Mabel und endlich auch erfolgreiche Jagdausflüge
beschreibt, gerät dies zu einem atemberaubenden Ausflug in eine ganz besondere
Parallelwelt.
Mehr als fünf Jahre lang steht Mabel im Mittelpunkt von Helen Macdonalds Leben und was
die aus diesem Erleben erzählt, dürfte zum Großartigsten und auch Bewegendsten
gehören, was je über eine Beziehung zwischen Mensch und Tier zu Papier gebracht wurde.
Die Autorin fesselt bei all dem mit einer souveränen, eleganten Prosa und die Prognose
sei gewagt: H wie Habicht wird ein Klassiker.
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