MARICA BODROZIC: MEIN WEIßER
FRIEDE
Für ihr neues Buch ist die 1973 bei Split geborene und seit 1983 in Deutschland lebende
Erfolgsautorin Marica Bodrozic auf eine Art autobiographische Spurensuche in ihre alte
Heimat, das ehemalige Jugoslawien, gereist. Verwandte hatte sie zwar immer wieder in den
letzten drei Jahrzehnten besucht, diesmal jedoch folgte sie auch den Spuren des
Bürgerkriegs.
Mein weißer Frieden lautet der Titel und diese Mischung aus Heimatidyllen der
Kindheit, Kriegseindrücken von Verwandten wie auch von Menschen in Kroatien und Bosnien
bis hin zu Überlebenden der mörderischen Belagerung Sarajewos geht unter die Haut.
Natürlich kann Bodrozic als Ich-Erzählerin und Spross einer der ethnischen Gruppierungen
nicht objektiv schreiben, stellt dazu aber auch klar: Ich bin keine Zeitzeugin, es
kann sich mir niemals das ganze Bild vermitteln.
Doch bei ihren Gesprächen mit Kriegseilnehmern hat sie nicht in Täter und Opfer, in
Verlierer und Sieger unterschieden. Mit gutem Grund, denn jeder Zeitzeuge hat seine
eigene, vom eigenen Erleben und vor allem auch von den ihm übermittelten Wahrnehmungen
geprägte Geschichte der Ereignisse. Ihr Blick ist trotz ihrer Herkunft der von außen und
die Kroatin ergreift nicht einseitig Partei, so dass die diversen Sündenfälle zu Lasten
von Serben und Bosniern ebenso unerbittlich zur Sprache kommen wie die von serbischer
Seite aus verübten Gewalt- und Gräueltaten.
So sehr ein jeder Betroffener nur auf seiner eigenen Wahrheit besteht, so wenig ist er oft
genug empfänglich für die Empfindungen anderer. Betroffen macht jedoch insbesondere der
immer noch bestehende Hass und die weit verbreitete Unfähigkeit zur Einsicht von Unrecht.
Beispiele für Brüderlichkeit findet Bodrozic selten, um so lebendiger fand sie die
Beweise bitterer Erinnerungen vor, da wo vor gut 20 Jahren aus Nachbarn und teils sogar
aus Familienmitgliedern hasserfüllte Feinde bis hin zur Entmenschlichung geworden waren.
Kaum eine Familie ist ohne Verluste geblieben, in vielen Menschen schlummern oder brodeln
noch traumatische Erlebnisse und die Autorin brandmarkt die dagegen stehende
Gleichgültigkeit als natürlichen Bruder der Brutalität. Doch sie beschränkt sich nicht
auf Recherchen in der menschlichen Trümmerlandschaft, sie analysiert auch mit
messerscharfem Verstand. Sie spricht von den balkanischen Egozentrikern und
sie macht Diktator Milosevic als drakonischen, ja eigentlich psychopathischen Despoten
verstehbarer.
Bei all dem streift Bodrozic immer wieder auch Philosophisches, fügt aber zugleich mit
sensibler und zuweilen poetischer Stimme die Hoffnung nach Frieden und Versöhnung hinzu.
Und sie macht diesen Reisebericht der besonderen Art durch wunderbar beschriebene
Impressionen ihrer schönen Heimat leichter erträglich. Fazit: eine ebenso gewichtige wie
wichtige Untersuchung eines überaus komplexen Themas auf ganz hohem Niveau.
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