ANTONY BEEVOR: „DER ZWEITE WELTKRIEG“


Eine kompakte und zugleich umfassende Geschichte des Zweiten Weltkriegs ist dem britischen Militärhistoriker Antony Beevor gelungen. Man darf sein Buch unter dem schlichten Titel „Der Zweite Weltkrieg“, das nun pünktlich zum 75. Jahrestag des Kriegsausbruchs am 1. September 1939 auch auf Deutsch vorliegt, guten Gewissens als ein echtes Standardwerk zu diesem Thema bezeichnen.
Dabei setzt der ehemalige Offizier gleich im ersten Kapitel ein deutliches Zeichen, denn er rückt die globalen Zusammenhänge in den Fokus, die sich schon vor dem deutschen Einmarsch in Polen von folgenreicher Bedeutung erweisen sollten. Unter der Kapitelüberschrift „Der Kriegsausbruch“ beschreibt er für die Zeit vom Juni bis August 1939 die kriegerischen Ereignisse in der fernen Mongolei, wo die Rote Armee unter dem späteren Marschall Schukow mit großem taktischen Geschick der japanischen Kwantung-Armee in wochenlangem Ringen eine schwere Niederlage beibrachte.
Das sollte die Weichen global in eklatanter Weise stellen, denn es führte nicht nur zu einem Waffenstillstand zwischen Stalin und Japan, 1941 folgte sogar – wie zuvor zwischen Deutschem Reich und Sowjetunion – ein Nichtangriffspakt, so dass der deutsche Bündnispartner Japan den Sowjets den Rücken freimachte und sich ganz der Eroberung des Pazifikraums mit den Kolonialgebieten sowie dem Gegner USA zuwandte. Welch gravierende Folgen dies für den europäischen Kriegsschauplatz noch haben sollte, zeigte sich im Dezember 1941 vor Moskau. In einem der schlimmsten Winter seit langem wurde der sowjetische Gegenangriff nun zusätzlich durch hunderttausende sibirischer Soldaten aus dem Fernen Osten massiv verstärkt.
Derartige direkte oder indirekte Wechselwirkungen von militärischen und anderen Aktionen und Entscheidungen gehören zu den großen Qualitäten dieses auf intensiven Recherchen beruhenden Werkes und Beevor bringt hier die ganze Erfahrung aus seinen gerühmten Büchern zu Einzelthemen des Zweiten Weltkriegs ein. In 50 Kapitel hat er den Kriegsverlauf aufgebrochen und er springt dabei nicht von einem Schlachtfeld zum nächsten, sondern bündelt global zeitgleiche Abläufe. So steht der deutsche Blitzkrieg dem Eroberungszug der Japaner gegenüber und diesem Prinzip folgen die weiteren Entwicklungen.
Zusammenhänge werden deutlich in ihrem weltweiten Zusammenspiel und dann wieder in den Folgen früherer Erignisse hervorgehoben wie der nächste Geniestreich Schukows, dem mit dem schon gegen die Japaner erfolgreichen Täuschungsmanöver die überraschende Einkreisung und Vernichtung der 6. Armee in Stalingrad gelingt. Die Beevor zusammen mit dem ersten Sieg der USA im pazifischen Inselkrieg mit der Eroberung Guadalcanals als einen psychologischen Wendepunkt im Weltkrieg bezeichnet, nachdem im Dezember 1941 mit dem Scheitern der Wehrmacht vor Moskau und dem Kriegseintritt der USA nach dem japanischen Angriff auf Pearl Harbour bereits der geopolitische Wendepunkt einen Sieg der Nazis wie der Japaner in den Bereich der Unwahrscheinlichkeit gerückt hatte.
Der Historiker geht neben vielen Schlachten und Feldzügen auch auf die ideologische Unterfütterung der Aggressoren ein. Was für Hitler der „Lebensraum im Osten“ und der SS-Herrenmenschenwahn waren, hatte sein Pendant in Japans Projekt einer „Großasiatischen Sphäre gemeinsamen Wohlstands“ mit brutal praktiziertem Rassendünkel. Wenn Beevor den Holocaust als weitgehend bekannt nur knapp umreißt, betont er dazu einen kaum thematisierten Aspekt: aus militärischer Sicht waren die Aufwendungen für die Shoah eine ungeheure Verschwendung an kampffähigem Personal und materiellen Ressourcen.
Der bestürzendste von zahlreichen wenig bekannten Aspekten aber ist das japanische Gegenstück zu der systematischen Vernichtung sowjetischer Kriegsgefangener, die zu hunderttausenden zu Tode ausgehungert wurden. Mögen sich die 27 Prozent an alliierten Kriegsgefangenen, die in japanischen Lagern umkamen, auch nicht viel weniger barbarisch anhören, so reißt Beevor den Deckmantel der damals sinnvollen Schonung der Angehörigen zigtausender Kriegs- und Zivilgefangener herunter und berichtet vom viel schockierenderen Ausmaß des Kannibalismus seitens der Japaner. Dieser erfolgte sogar systematisch und wurde ähnlich den verbrecherischen Menschenversuchen in der berüchtigten „Einheit 731“ nie ernsthaft geahndet.
Auch bei einigen Kontroversen verweist der Historiker auf objektive Fakten, so bei den angeblichen Absichten Stalins für einen Präventivkrieg gegen das Dritte Reich – die Rote Armee wäre dazu im Sommer 1941 schlichtweg noch gar nicht in der Lage gewesen. Auch die Vorwürfe wegen des Einsatzes der Atombomben gegen Hiroshima und Nagasaki lässt er ins Leere laufen. Die Schilderungen der Eroberung der Insel Okinawa im April 1945 mit den ungeheuren Verlusten auf US-Seite und dem fanatischen Kämpfen der Japaner bis zum letzten Blutstropfen auch in sinnlosen Situationen lassen ahnen, welchen Blutzoll die bei diesem Feind unausweichliche Invasion des Festlands gefordert hätte. Opferschätzungen von allein 350.000 US-Soldaten sind realistisch und machen die Entscheidung des US-Präsidenten als verantwortungsvoll gegenüber dem Wohl des eigenen Volkes verständlich.
Auch hier gilt wie für das gesamte Buch, dass Beevor nicht Partei ergreift sondern Zahlen und Fakten sprechen lässt. Aber auch kritische Darstellungen von Kriegshelden wie Rommel, Patton oder McArthur beruhen auf nachprüfbaren Tatsachen. Fazit: ein wahrhaft umfassender und dabei spannend zu lesender Gesamtüberblick über den Zweiten Weltkrieg und in dieser Form das Nonplusultra als Standardwerk zum Thema.

# Antony Beevor: Der Zweite Weltkrieg (aus dem Englischen von Helmut Ettinger); 976 Seiten, div. Abb.; C. Bertelsmann Verlag, München; € 39,99


WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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