JENNIFER TEEGE: „AMON“


Es gibt Zufallshäufungen, die widersprechen der Wahrscheinlichkeit derartig, dass man sie keinem Drehbuchschreiber durchgehen ließe. Für die Hamburgerin Jennifer Teege allerdings tat sich ab 2008 ein Reigen von Ereignissen und Verknüpfungen auf, der schier unglaublich und dennoch ganz und gar wahr ist.
In der Hamburger Zentralbücherei suchte sie nach einem Buch, wobei ihr auf einem anderen Einband ein Name im Untertitel aufiel. Der lautete „Die Lebensgeschichte von Monika Göth, Tochter des KZ-Kommandanten aus Schindlers Liste“. Der Name ihrer leiblichen Mutter, die Jennifer mit einem Nigerianer zeugte und kurz nach der Geburt zur Adoption weggab. Auf Fotos in dem Buch entdeckte sie jedoch außerdem auch ihre Großmutter Ruth Irene Göth, die ihr als Einzige aus der Familie in den Kindertagen etwas Zuwendung entgegenbrachte und die sie sehr mochte.
Aber – ist sie, die dunkelhäutige Jennifer Teege, 1970 geboren, etwa tatsächlich die Enkeln Amon Göths, der als „Schlächter von Plaszow“ 1946 als besonders abartiger SS-Scherge hingerichtet wurde?! Niemand kann so etwas einfach hinnehmen, zumal die junge Frau als Adoptivkind ohnehin einige Probleme bis hin zu Depressionen mit sich herumschleppte. So beginnt sie in Zusammenarbeit mit der Journalistin Nikola Sellmair eine intensive Recherche.
„Amon. Mein Großvater hätte mich erschossen“, so lautet der provokante Titel des daraus entstandenen Tatsachenberichts über eine bewegende Spurensuche. Über Amon Göth erfährt sie durch vielfältige Dokumenten sowie aus Steven Spielbergs Film „Schindlers Liste“. Der hünenhafte Österreicher war ein Psychopath, der es besonders liebte, morgens mit dem Gewehr auf den Balkon seiner Dienstvilla am KZ zu treten und nach dem Zufallsprinzip Häftlinge zu erschießen.
Natürlich ist solch eine Erkenntnis, die Enkelin eines solchen Scheusals und Massenmörders zu sein, ein fürchterlicher Schock. Der jemanden wie sie als offensichtliches Ergebnis von „Rassenschande“ garantiert erschossen hätte, wie der Untertitel zu Recht unterstellt. Wie aber passte die von Jennifer Teege doch so geliebte Großmutter in dieses Bild? Eine große mondäne Frau, sehr selbstbewusst, die Tucholsky las und Willy Brandt verehrte, die allerdings auch ein ähnlich gespanntes Verhältnis zu ihrer Tochter hatte wie die Enkelin zu ihrer so abweisenden Mutter, die ihr im Übrigen niemals auch nur eine Andeutung über dieses düstere Familiengeheimnis gemacht hatte.
Ruth Irene Kalder begegnete Amon Göth als Sekretärin des legendären Oskar Schindler und verliebte sich Hals über Kopf in den „Wiener Gentleman“. An seiner Seite führte sie – am Rande eines Todeslagers – das Leben einer feinen Dame mit Bediensteten, täglichen Ausritten und stets modisch chic gekleidet. Ihre Begeisterung für den pathologischen Menschenschinder ging sogar so weit, dass sie es mit intesnivem Drängen 1948, also zwei Jahre nach seiner Hinrichtung schaffte, als seine Verlobte seinen Familiennamen annehmen zu dürfen.
Bei den Recherchen des israelischen Historikers Tom Segev zum Leben der KZ-Kommandanten spielte sie sich gar als stolze SS-Witwe auf, deren Gatte im Krieg den Heldentod gestorben sei. Im Übrigen seien die Jahre an der Seite des Massenmörders „eine schöne Zeit“ gewesen. Und die fassungslose Enkelin musste schließlich erfahren, dass die geliebte Großmutter bis zu ihrem Selbstmord im Jahre 1983 ein Bild Amon Göths über dem Bett hängen hatte.
Jennifer Teege hat sich einer schwierigen Familienforschung unterzogen und dabei Orte der Vergangenheit aufgesucht. Sie war in Polen aber ebenso in Israel, wo sie selbst zeitweise lebte und dem Namen Amon Göths erstmals begegnet war. Mit eingeflossen in diesen einzigartigen Tatsachenbericht sind zudem Schilderungen Tom Segevs über seine Begegnungen mit Angehörigen ehemaliger KZ-Kommandanten. Fazit: als Roman kaum glaubhaft, ist all dies wahr und eine wichtige Lektüre über eine entsetzliche Vergangenheit.

# Jennifer Teege (mit Nikola Sellmair): Amon. Mein Großvater hätte mich erschossen; 272 Seiten, div. Abb.; Rowohlt Verlag, Reinbek;

€ 19,95

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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