DEVIN O. PENDAS: "DER AUSCHWITZ-PROZESS"

"Dies geschieht nicht aus Rache, sondern um ein besonders schmerzliches Kapitel unserer geschichtlichen Vergangenheit mit den Mitteln des Strafrechts zu bewältigen. Es ist Sache der Deutschen, in ihrem eigenen Lande Verbrechen zu sühnen." So steht es in der 698-seitigen Anklageschrift für den sogenannten Auschwitz-Prozess, der im Dezember 1963 in Frankfurt begann.

Erst jetzt liegt aus der Feder des amerikanischen Geschichtsprofessors Devin O. Pendas erstmals eine Aufarbeitung des größten Strafprozesses der deutschen Nachkriegsgeschichte vor und immerhin benötigte sie von ihrem Erscheinen bis zur deutschen Fassung noch einmal sieben Jahre. "Der Auschwitz-Prozess. Völkermord vor Gericht" lautet der Titel. So erzielte er an den insgesamt 183 Verhandlungstagen bis zum August 1965 auch seine weltweite Aufmerksamkeit, wobei die offizielle Prozessbezeichnung "Strafsache gegen Mulka und andere" die Monstrosität der zu verhandelnden Verbrechen nicht mal andeutete.

Zugleich lag hier das größte Problem der Prozessführung, denn das deutsche Strafgesetzbuch von 1871 kennt den Straftatbestand des "Verbrechens gegen die Menschlichkeit" nicht. Ihn nachträglich einzuführen wäre jedoch ein Verstoß gegen die Verfassung gewesen. Das Gericht stand deshalb vor der Mammuttaufgabe, den insgesamt 22 Angeklagten Mord oder Beihilfe dazu nachzuweisen. Für einen systematischen, staatlich betriebenen und bürokratisch organisierten Massenmord gab es somit keinen Paragraphen, so dass der deutschen Justiz im Gegensatz zu dem im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess angewandten internationalen Strafrecht die Hände gebunden waren.

Entsprechend kompliziert geriet die Beweisführung, denn der vielfach einfacher anzuwendende Straftatbestand des Totschlags reichte aus einem einfachen Grund nicht aus - der Strafvorwurf wäre längst verjährt gewesen. So mussten jeweils die besonderen Voraussetzungen für Mord nachgewiesen werden wie "Heimtücke", "Grausamkeit" und "niedere Beweggründe". Der Autor stellt diese Feinheiten des deutschen Strafrechts in exzellenter Klarheit heraus und macht zugleich verständlich, warum die Vernehmung der Zeugen - Überlebende des Holocaust - derartig penibel, überkorrekt und damit oft genug sehr quälend erfolgen musste.

Ausführlich legt Pendas eingangs auch dar, wie durch die Strafanzeige eines früheren KZ-Insassen gegen einen SS-Oberscharführer 1958 der Stein ins Rollen gebracht wurde. Auf Betreiben des Hessischen Generalstaatsanwalts Fritz Bauer sowie von Hermann Langbein, dem Präsidenten des Internationalen Auschwitz-Komitees, wurden weitere Einzelklagen in das Verfahren eingeführt, bis sich schließlich 22 ehemalige SS-Schergen vom Aufseher bis zum Arzt verantworten mussten.

In der bundesdeutschen Gesellschaft erschienen sie als grundsolide Bürger und Familienväter und darauf hob auch ihre Verteidigungsstrategie ab. Sie seien keine überzeugten Nazis gewesen, hätten nur Befehle ausgeführt und quasi nichts gewusst. Selbst der Angeklagte Robert Mulka, ehemaliger Adjutant des Lagerkommandanten Ruolf Höß, gab sich ahnungslos und berief sich wie die Anderen auf den sogenannten Befehlsnotstand. So standen diese 22 angeblich unschuldigen KZ-Schergen stellvertretend für die rund 8000 SS-Angehörigen, die 1,2 Millionen Menschen in diesem größten Vernichtungslager aller Zeiten umgebracht hatten.

Die hunderte von Zeugen machten auf schreckliche Weise nicht nur klar - und öffentlich! - dass es sich um bestialische Verbrechen in hunderttausenden Fällen handelte. Insbesondere das vermeintlich humane Vergasen wurde als eine in jedem Einzelfall brutalste Barbarei entlarvt. Um so mehr wurden die am Ende verhängten strafen als zu milde kritisiert - nur sechs Angeklagte erhielten lebenslänglich, es gab drei Freisprüche und die Übrigen mussten teils langwirerige Haftstrafen verbüßen.

Autor Pendas allerdings nimmt das Schwurgericht Frankfurt in Schutz, denn auf der Grundlage geltenden Rechts habe es getan, was möglich war, und sich intensiv um Gerechtigkeit bemüht. Immerhin wurde kein einziger Angeklagter allein aufgrund von Indizienbeweisen verurteilt. Dargestellt wird jedoch auch die durchaus zwiespältige Aufnahme von Prozess und Ergebnis in der deutschen Öffentlichkeit. Gerade hier aber liegt auch das eigentliche Verdienst dieses quälenden Prozesses: das bis dato herrschende Schweigen über die ganze Monstrosität der Verbrechen und über die Schuldigen an diesem Völkermord wurde unwiderruflich durchbrochen - der Holocaust war im öffentlichen Bewusstsein des Volkes angekommen.

Diese Monographie zum Auschwitz-Prozess ist ebenso kenntnisreich wie wissenschaftlich-sachlich verfasst. Wenn sie trotzdem eine schwere Lektüre ist, liegt dies einzig an der düsteren Materie dessen, was hier verdienstvoll beschrieben worden ist.

 

# Devin O. Pendas: Der Auschwitz-Prozess. Völkermord vor Gericht (aus dem Amerikanischen von Klaus Binder), 432 Seiten, div. Abb.; Siedler Verlag, München; € 24,99

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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