VOLKER ULLRICH: "ADOLF HITLER" Bd. 1

Wer war Adolf Hitler wirklich und wie konnte er der größte Verbrecher der Weltgeschichte werden? Literatur dazu gibt es zuhauf und dem Wust manch spekulativer Werke stehen die meisterhaften Biographien von Joachim Fest (1973) und Ian Kershaw (1998) gegenüber. Nun aber legt der Historiker und Publizist Volker Ullrich den ersten Band einer weiteren Hitler-Biographie unter dem Titel "Adolf Hitler. Die Jahre des Aufstiegs" vor.

Den Unterschied zu den großen Vorgängerwerken macht bei dem renommierten ZEIT-Autor der Ansatz aus, dass er die Persönlichkeit Hitlers deutlich mehr in den Mittelpunkt stellt. Hier wird er als Mensch gezeigt, der nicht einfach als furchtbarer Psychopath über Deutschland und die Welt hereinbrach. Vielmehr geht es dem Biographen um den Werdegang, um Talente und Eigenschaften und wie daraus der sogenannte "GröFaZ" (Größter Führer aller Zeiten) werden konnte.

Ullrich hat dafür auch etliche, bisher kaum ausgewertete Quellen genutzt. So unter anderem die Privatbriefe des Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß oder einen Antwortbrief Hitlers vom September 1919 aus dem vom Putsch brodelnden München, in dem erstmals eine Äußerung seines fanatischen Antisemitismus belegt ist. Zunächst aber geht es auch hier um die Zeit vor den ersten politischen Gehversuchen, wo die Jahre als quasi gescheiterte Existenz wie auch die Fronterfahrungen im Ersten Weltkrieg den Einzelgänger prägten, der beim Fronturlaub lieber in Kunstmuseen als ins Bordell ging.

Als ein Mann ohne Eigenschaften erscheint er zwar in vielen Biographien, Ullrich legt jedoch dar, welch ein rhetorisches Talent sich bereits in den Putschzeiten in München andeutete. Und der extrem lesewütige Hitler wies vor allem außergewöhnliches politisches Gespür gepaart mit großer Schauspielkunst auf, die nicht nur sein Umfeld sondern ebenso die späteren Historiker immer wieder täuschte. Als Meister der Verstellungskunst inszenierte und stilisierte sich Hitler so umfassend, dass Ullrich nur mit Mühe Beispiele dafür fand, wo er "authentisch", also wirklich er selber war.

So inszenierte sich Hitler als der Mann, der sich für sein Volk aufopfert und seiner Mission alles unterordnet. Als begnadeter Agitator gab er den bescheidenen Mann aus dem Volk, während er in Wirklichkeit den Luxus liebte und schon in den Anfangsjahren große, schnelle Autos nutzte und in einer exklusiven Neun-Zimmer-Wohnung lebte. Doch er konnte ja auf geniale Weise Menschen um den Finger wickeln, seien es die Wirtschaftsführer, deren Ablehnung er mit einem einzigen Auftritt ins Gegenteil zu verkehren verstand, sei es ein frühes aber entscheidendes Meisterstück: seine Umgarnung des skeptischen Reichspräsidenten von Hindenburg, der dem frisch gebackenen Reichskanzler in wenigen Wochen völlig auf den Leim ging.

Die Redegewalt Hitlers ist legendär, in der heutigen öffentlichen Wahrnehmung jedoch oft falsch gesehen. Auch hier war er nämlich von großer Schläue und taktischer Raffinesse mit viel Gespür für ein mit steigender Redezeit immer überwältigenderes Überzeugungspotential. War er dabei zum Einstieg leise bis zögernd, so wusste er insbesondere auch bei Frauen mit Charme und warmer Stimme zu betören, wie ein eigenes Kapitel "Hitler und die Frauen" darlegt.

Wie eiskalt berechnend er sein konnte und nötigenfalls missliebige Menschen umgarnte oder befreundete Kampfgenossen skrupellos beseitigen ließ, beschreibt Ullrich exemplarisch am Röhm-Putsch von 1934. Wie auch später beim Holocaust und generell dem Antisemitismus verweist die Biographie mit Logik und Belegen auf Hitlers unmittelbare Urheberschaft. Doch in einem Bereich muss sich auch Ullrich mit Mutmaßungen begnügen: das Privatleben einschließlich der Spekulationen um Hitlers Liebesleben hat dieser so strikt verschlossen gehalten, dass ihm lediglich bleibt, die teils abstrusen Theorien um Genitaldeformationen oder gar Homosexualität als Fantastereien zu entlarven.

Bleibt festzuhalten, dass Volker Ullreich keine neue Sensationen zu verkünden hat, dem Bild Adolf Hitlers jedoch einige interessante, so bisher nicht bekannte Facetten zuordnen kann. Zudem gelingt es ihm hervorragend, die Geschichte des Dritten Reichs und die Biographie Hitlers im unmittelbaren Zusammenhang detailliert zu verknüpfen. Wer Hitlers Vita noch nicht zur Gänze kennt, wird hier umfassend und in bester Qualität bedient. Doch auch, wer die großen Vorgängerwerke von Fest und Kershaw bereits kennt, findet in Ullrichs Buch quasi eine Fortschreibung in ähnlicher Qualität auf dem neuesten Stand der Forschung.

 

# Volker Ullrich: Adolf Hitler. Die Jahre des Aufstiegs; 1088 Seiten, div. Abb.; S. Fischer Verlag, Frankfurt; € 28

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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