LORIOT: "SPÄTLESE"

In diesem November wäre Vicco von Bülow (1923-2011), unter seinem Künstlernamen Loriot einer der beliebtesten Deutschen überhaupt, 90 Jahre alt geworden. Ein wunderbarer Anlass für die Herausgabe einer Fülle von zeichnerischen Werken, die fast sämtlich nie zuvor veröffentlicht wurden.

"Spätlese" ist der voluminöse Band überschrieben und der hat es in sich mit manchen Arbeiten, die man vielleicht weniger von Loriot erwartet hätte. Das große erste Kapitel allerdings enthält vor allem Cartoons aus den frühen Jahren, die bei seinen Hauptabnehmern Weltbild, Quick und Stern in den 50er Jahren durchfielen. Das hatte in den seltensten Fällen mit der Qualität zu tun und einige der teils skurrilen Ablehnungsschreiben sind zum Schmunzeln mit abgebildet.

Loriot hat ja nie für Bücher gezeichnet, deshalb war so mancher Cartoon einfach "über" - hier nun sind viele davon als "Frühstücke", von augenzwinkernder Spitzfindigkeit bis hin zu deftigen Verulkungen. Bekanntlich hasste der geistreiche Preuße besonders Touristen und schlechtes Benehmen, wobei er Fehlverhalten in den vermeintlich besseren Gesellschaftskreisen genüsslich durch den Kakao zog. Allerdings gehörten auch Jäger nicht zu den Spezies, die er sonderlich schätzte, und dem Reisen stand er sehr kritisch gegenüber, vor allem solchen in heißere Regionen, denn: "Nur Ungebildete wollen sich wohlfühlen."

Auch Loriots nie vollendeter Versuch eines ganzen Bildbandes über große Deutsche findet sich hier, wo dann selbst Wagner, Goethe und Thomas Mann mit der typischen Knollennase geadelt sind. Natürlich dürfen auch seine geliebten Möpse nicht fehlen, eine kleine Parade gipfelt hier in der zeichnerischen Feststellung, dass Möpse die wahren Engel sind.

Doch der unbekannte Loriot offenbart in der Spätlese auch ungeahnte dunklere Seiten, sei es bei vereinzelter satirischer Schärfe, sei es bei seinen erstaunlichen Ausflügen ins Kubistische. Loriot litt von jeher unter Einschlafstörungen und so nutzte er diese hellwachen Phasen zu den von ihm "Nachtschattengewächse" genannten Werken. Diese oft kleinformatigen Arbeiten zeigen einen Cartoonisten von hohen künstlerischen Graden, zuweilen düster, vor allem aber vom großen Picassso inspiriert.

Nimmt man dann noch "Privates und Halbprivates" wie Geschenkblätter an Freunde, Prominente und Familienmitglieder hinzu, liegt mit diesem faszinierenden Sammelsurium jender Teil des zeichnerischen Lebenswerkes vor, der in bisherigen Veröffentlichungen nicht zugänglich war. Fazit: eine großartige Nachlese eines immer wieder faszinierenden Künstlers, die nicht nur seine unzähligen Fans begeistern wird.

 

# Loriot: Spätlese; 374 Seiten, div. Abb., Großformat; Diogenes Verlag, Zürich; € 39,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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