HUBERT WOLF: "DIE NONNEN VON SANT'AMBROGIO"

Beichtväter, die es mit Nonnen treiben, lesbische Initiationsrituale, Teufelsaustreibungen, angemaßte Heiligkeiten und sogar Giftmorde hinter Klostermauern. Das hört sich nach Mittelalter an und nach einem kruden Historienschinken der schlüpfrigen Art. Doch - das, was Hubert Wolf hier unter dem Titel "Die Nonnen von Sant'Ambrogio" veröffentlicht hat, beruht auf wissenschaftlicher Forschungsarbeit und beschreibt nichts als wahre Ereignisse.

Schon das Eingangskapitel schildert kaum Fassbares, denn da kann die Ordensfrau Katharina Fürstin von Hohenzollern-Sigmaringen nur mit größter Mühe und der Hilfe ihres Cousins, des Erzbischofs Gustav-Adolf zu Hohenlohe-Sigmaringen, vor weiteren Giftanschlägen aus dem fast völlig unzugänglichen Klausurkloster der Franziskanerinnen mitten in Rom entfliehen.

In ihrer Not erstattet sie Anzeige bei der Heiligen Römischen Inquisistion und bringt damit 1859 einen aberwitzigen Prozess ins Rollen. Dass das unglaubliche Geschehen, das ein versierter Inquisitor, der Dominikaner-Pater Vincenzo Sallua, dann in penibler dreijähriger Ermittlungsarbeit herausfindet und was über den folgenden Prozess niedergeschrieben wurde, landete logischerweise im geheimsten aller Geheimarchive der Glaubenskongregation des Vatikan. Dort hätten die heiklen Tatsachen mit ihrem Sprengstoff für alle Zeiten ruhen sollen, doch Papst Johannes Paul II. öffnete 1998 die Archive für die Wissenschaft.

So konnte sich mit Hubert Wolf, Professor für Kirchengeschichte an der Universität Münster, ein Vatikan-Kenner intensiv dem so lange als Fantasterei deklarierten Geheimnis widmen. Und sein mit viel Sachlichkeit und großem Detailreichtum verfasstes Buch ist trotz des hohen wissenschaftlichen Anspruchs zu einem regelrechten Kirchenthriller geworden. Schon die Zeugenaussagen der deutschen Prinzessin, die als unbeugsame Mitwisserin mit Gift zum Schweigen gebracht werden sollte - wie drei andere Nonnen vor ihr - machen Ermittler Sallua schier fassungslos. Im Mittelpunkt stand dabei die ebenso schöne wie charismatische Vikarin Maria Luisa, die absolute Beherrscherin des Klosters mit ihren die an die 40 überwiegend recht jungen Nonnen.

Die Gründerin des Klosters, Maria Luisa Ridolfi, hatte sich einst zur Heiligen aufgeschwungen und war von der Inquisition dafür verbannt worden. Die Nonnen verehrten sie dennoch weiter als Heilige und die jetzige 27 Jahre alte Maria Luisa trieb es noch viel toller, denn sie unterwarf sich die Frauen als Heilige mit direkter Verbindung zum Himmel. Dazu praktizierte sie intensive lesbische Praktiken (die die Ermittler gar nicht für möglich gehalten hatten!), hatte aber außerdem auch Sex mit gleich zwei Beichtvätern und einem Patienten, an dem sie - ebenfalls verbotenerweise - Teufelsaustreibungen versuchte.

Ermittler Sallua, der der eigentliche Held des so romanhaften Geschehens ist, wäre für die Giftanschläge auf Katharina schlichtweg unzuständig gewesen, die Anmaßung der Heiligkeit dagegen verfolgte die Inquisition als "schwerwiegendes Verbrechen gegen den Glauben". Mit viel kriminalistischem Gespür und unbestechlicher Beharrlichkeit erarbeitete er Anklagen in einem Skandal, der schier abenteuerliche Ausmaße bekommt, denn sowohl die geistlichen Würdenträger, die unmittelbar in das sündige Treiben involviert sind wie auch die für das Kloster verantwortlichen Kardinäle als Mitwisser haben allesamt enge Verbindungen zu Papst Pius IX.

Das Geflecht von sexueller Machtausübung und erotisch-mystischen Machenschaften mit Jesuiten-Patern, das Novizenmeisterin Maria Luisa da über Jahre entwickelt und skrupellos verteidigt hatte, wird akribisch untersucht und lässt den Richtern der Inquisition keinen Ausweg. Doch das Urteil ist, wie kaum anders zu erwarten, für die offenbar vom Teufel getriebene sündige Frau ungleich härter als für die reuigen Männer. 20 Jahre Isolationshaft lautet es, während man gegen die Geistlichen Milde walten lässt.

Der eigentliche Skandal im Skandal ist das Davonkommen von Beichtvater Guiseppe Peters, ein Pseudonym, hinter dem sich der einflussreiche Neuscholastiker Joseph Kleutgen verbarg. Wegen Häresie, Verehrung einer falschen Heiligen sowie des Bruchs von Zölibat und Beichtgeheimnis erhielt er eine Strafe von ganzen zwei Jahren. Und die durfte er nicht nur in einem Haus des OPrdens absitzen, sie wurde sogar noch vom Papst auf ein Jahr reduziert.

Aus gutem Grund, denn dieser deutsche Jesuit gehörte trotz allem zu den engsten Beratern des Papstes und legte die theologischen Grundlagen der später von Pius IX. verkündeten päpstlichen Unfehlbarkeit. Aber es gab noch ein Nachspiel, denn in der Folge des Risorgimento, der Kämpfe um die Einigung Italiens, besetzten 1870 italienische Truppen Rom und Maria Luisa wurde befreit. Sie klagte dann sogar erfolgreich gegen den Vatikan auf Entschädigung, endete allerdings dennoch später im Elend. Der Kurie aber war die Geheimhaltung das Allerwichtigste und auch die mitverantwortlichen Kurienkardinäle kamen ungeschoren davon.

Fazit: eine völlig unwahrscheinliche und doch wissenschaftlich belegte Geschichte, so faszinierend in all ihren unglaublichen Facetten, dass sogar mit einer Verfilmung gerechnet werden darf.

 

# Hubert Wolf: Die Nonnen von Sant'Ambrogio. Eine wahre Geschichte; 544 Seiten, div. Abb.; C. H. Beck Verlag,. München; € 24,95

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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