PHILIP HOARE: "LEVIATHAN oder DER WAL"

Wale üben seit jeher eine seltsame Anziehungskraft auf den Menschen aus und Herman Melville setzte ihnen 1851 mit seinem Klassiker "Moby Dick" ein literarisches Denkmal höchster Güte. Damit wurde aus dem legendären größten Säugetier der Welt ein Mythos.

Dem Geheimnis von Wahrheit und Legende widmete sich nun der englische Autor Philip Hoare mit seinem preisgekrönten erzählenden Sachbuch "Leviathan oder Der Wal" und der Untertitel verrät seine Intention: "Auf der Suche nach dem mythischen Tier der Tiefe". Schon als Kind war Hoare gefesselt von Besuchen im Londoner Natural History Museum mit seinen Walfang-Exponaten und natürlich von Melvilles Roman.

Und so wie der mit dem berühmten Satz "Nennt mich Ismael" beginnt, steht auch am Anfang dieses Buches ein wahrlich denkwürdiger Satz: "Vielleicht kommt es daher, dass ich beinahe unter Wasser geboren wurde." Hoares Beziehung zum nassen Element blieb bis heute speziell, denn nach großer Furcht vorm Wasser in Kindheit und Jugend lernte er erst als junger Erwachsener das Schwimmen, dann allerdings ging das bis hin zum Meerestauchen und außergewöhnlichen Aktionen.

Hier aber schildert er zunächst das Whale-Watching, eine Fahrt von Nordengland nach Cape Cod und weit in den Atlantik auf den Routen früherer Walfänger. Immerhin war der Walfang schon im 16. und 17. Jahrhundert äußerst lukrativ und als die Engländer sich ab dem 18. Jahrhundert intensiv engagierten, wurden die Erträge zu einer Säule des Reichtums im British Empire. Wobei der Pottwal die wichtigste Spezies war, denn sein Öl war für lange Zeit das Mittel zur Beleuchtung der Städte.

Dementsprechend waren die Riesen, die durchschnittlich um die 18 Meter lang werden und 50 oder mehr Tonnen wiegen, die wertvollsten und am meisten gejagten. Es war gefahrvoll aber auch sehr lohnend, ganze Schiffsladungen mit Fässern voller Wal-Öl heimzubringen. Dennoch blieben die Meeresungeheuer, als die die wAle oftmals angesehen wurden, bis heute eine seltsam unbekannte Spezies. Der Erste, der sie wissenschaftlich erkundete, war der junge Arzt Thomas Beale von der Royal Humane Society in London, ein Zeitgenosse Darwins.

Er nahm strapazenreiche Fahrten auf Walfangschiffen auf sich, um mehr über die Tiere zu erfahren, und seine Schriften waren später die wissenschaftliche Grundlage für Melvilles Drama um Kapitän Ahab und seinen Kampf mit dem weißen Wal. Dass insbesondere die mächtigen Pottwale bei der Nahrungssuche eine kämpferische Natur offenbaren, zeigen unter anderem Funde in Walmägen sowie äußere Kampfspuren, denn zu einer bevorzugten Speise zählen Tintenfische, wobei sie vor kampfstarken Riesenkalmaren keineswegs zurückschrecken.

Hoares Begeisterung für die so elegant sämtliche Meere durchpflügenden Giganten wurde einst angeregt durch das erste echte Exemplar, das er mit eigenen Augen in einem Ausstellungstank sah. Doch er wollte sie nicht nur sehen, er forschte auch nach und breitet hier nun ein immenses Wissen über Wesen und Lebensweise der Riesen aus. Aber auch über den Walfang von früher und heute berichtet er viel Erhellendes.

Bleibt als krönender Abschluss einer stets unterhaltsamen biografischen wie historischen Reise ein hinreißendes Erlebnis des Autors, als dieser auf offener See das einmalige Glück hat, für Minuten mit einem Pottwal mitzuschwimmen. Ein magischer Augenblick, der den menschlichen Begleiter wie hypnotisiert zurücklässt, als das riesige Tier lautlos in die Tiefe verschwindet.

Das Alles fesselt zudem durch den exzellenten Schreibstil und die hohe Qualität dieser umfassenden sachlichen Widmung an den Wal zeigt sich nicht zuletzt auch darin, dass man sich, wo immer man dieses Buch aufschlägt, unweigerlich festliest. Fazit: ein Muss für alle, die das Meer lieben und sich für die größten Säugetiere der Welt begeistern können.

 

# Philip Hoare: Leviathan oder Der Wal. Auf der Suche nach dem mythischen Tier der Tiefe (aus dem Englischen von Hans-Ulrich Möhring); 522 Seiten, div. Abb.; mareverlag, Hamburg; € 26

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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