PETE TOWNSHEND: "WHO I AM. DIE AUTOBIOGRAPHIE"

"Tommy" war seinerzeit die erste richtige Rock-Oper und ohne das geniale Werk von 1969 wäre die Rockband The Who vermutlich längst ähnlich im Oldie-Nostalgierummel verstaubt wie so manche der Beatgeneration der 60er Jahre. Der große Mastermind von "Tommy" aber war Pete Townshend, mittlerweile fast 68 Jahre alt und noch immer aktiv und kreativ.

Lange wurden seine Memoiren erwartet und nun, da "Who I am. Die Autobiographie" vorliegt, darf man wirklich staunen: er hat nicht nur viel Interessantes und Spannendes zu erzählen, er überrascht auch mit großer Offenheit über sich selbst und seine massiven psychischen Probleme. Unmissverständlich macht er den quälenden Gegensatz seiner Persönlichkeit deutlich, dem zwischen seinem künstlerischen Größenwahn und einem katastrophal geringen Selbstwertgefühl.

Höchst interessant liest sich natürlich die Entstehungsgeschichte der Band, die zunächst "The Detours" hieß und sich dann ab Februar 1964 wegen einer anderen Gruppe gleichen Namens in "The Who" umbenannte. Wie Townshend Ende 1963 mit "It was you" seinen ersten Song schrieb, wie die Rivalitäten zwischen den Mitgliedern - inbesondere mit den exzentrischen Berserkern Keith Moon und John Entwistle (beide bereits verstorben) und dem offiziellen Boss, dem charismatischen Sänger Roger Daltrey - kaum echte Freundschaften aufkommen ließen.

Und dazwischen der verschüchterte Kunststudent Pete Townshend, der all seine Wut und Aggression auf der Bühne auslebte: "Niemand hat sich je erfolgreich auf der Bühne mit mir angelegt. Abseits der Bühne aber bin ich, ehrlich gesagt, eine Maus." Hier nun kommt der Rockstar zu seiner schwierigen Kindheit und Jugend als ältester Sohn eines Musiker-Ehepaares, das Alkohol- und Beziehungsprobleme hatte. So beginnt mit fünf Jahren eine prägende Horrorzeit, als ihn die Mutter zur Oma Denny abschiebt. Als "böse Hexe" charakterisiert er diese Frau, die ihn mit Härte und Liebesentzug malträtiert, während sie selbst sich mit Angehörigen der US-Air Force vergnügte.

Doch der kleine Pete leidet nicht nur unter Omas Rachsucht. Offenbar kommt es in dieser Zeit auch zum sexuellen Missbrauch des Jungen durch "seltsame Onkels". Erst in den 80er Jahren stößt Townshend bei einer Psychotherapie auf dieses offenbar intensiv verdrängte Geheimnis. Zugleich wird ihm klar, woher vor allem die wütende düstere Geschichte von "Tommy" herrührt, die er mit 23 Jahren entwickelte. Dort wird ein kleiner Junge nach sexuellen Übergriffen blind, taub und stumm.

Es war übrigens ein Journalistenfreund, der das Werk vor der Fertigstellung aus der entsprechend verkniffenen Allgemeinstimmung herausholte. Auf seine Kritik hin floss das Flippern in die triste Geschichte ein und damit gelang nach Townshends eigener Einschätzung ein kühner Sprung ins Absurde. Und schuf die Grundlage für den Triumph von "Tommy" als Album, auf der Bühne, als Film und als Musical. Auch die spätere Konzeptarbeit "Quadrophenia" wurde ein Riesenerfolg, allerdings war das Quartett da schon längst durch den spektakulären Auftritt beim Woodstock Festival im Sommer 1969 in den Olymp der Rock-Legenden aufgestiegen.

Dabei war das Konzert für den fanatischen Perfektionisten Townshed mit seinem Chaos und all dem Schlamm ein absoluter Graus. Um so wilder grassierten Sex & Drugs & Rock&Roll bei der Band. Wobei Townshend als liebender Ehemann weniger wild auf Groupies war und auch bei den Drogen nicht so exzessiv wie vor allem Moon und Entwistle. Den Hang zum Alkohol aber hatte er von den Eltern geerbt und er benötigte zwei Therapien wegen seines gewaltigen Konsums.

Manisch-depressiv jedoch blieb er auch trotz aller Erfolge - er schrieb 1965 mit "My Generation" die Hymne der Beat-Generation schlechthin und auch die zum Kult gewordenen Zertrümmerungen zahlloser Gitarren bei den Konzerten waren nur ein dringend benötigtes Ventil. Doch die Wut gepaart mit hoher Kreativität schuf zahllose Rock-Juwelen wie auch Neuerungen wie das Powerriff, mit dem Townshend quasi die Grundlage für Hardrock und Heavy Metal legte.

Durch die intensive Nutzung seiner Tagebücher konnten die Erinnerungen außerordentlich detailliert dargebracht werden. Dadurch wird diese Autobiographie zugleich ein höchst erhellender Gang durch wichtige Phasen der Rock- und Popgeschichte. Die eigentliche Faszination aber liegt in der großen Offenheit, mit der Townshend auch seine dunklen Seiten und sehr persönliche Erlebnisse wie die als Scheidungskind und Missbrauchsopfer schonungslos gegen sich selbst offenbart.

Man liest von einem der wichtigsten Kreativen der Musikszene und hat bei all den geschilderten Erfolgen den Eindruck eines Suchenden, der dennoch das große Glück für sich nicht zu finden vermag. Fazit: eine zutiefst beeindruckende Autobiographie, hervorragend geschrieben und nicht nur für Rock-.Fans eine spannende Lektüre.

 

# Pete Townshend: Who I am. Die Autobiographie (aus dem Englischen von Astrid Finke, Kathrin Bilefeldt und Jürgen Bürger); 573 Seiten, div. Abb.; Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln; € 24,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

Dieses Buch bei Amazon.de bestellen. 


Kennziffer: Bio 312 - © Wolfgang A. Niemann - www.Buchrezensionen-Online.de