HEIDEMANNS/HARBUSCH: "AFFÄRE WULFF"

Wüsste man es nicht besser, man könnte das Buch "Affäre Wulff" für einen zwar unblutigen aber spannenden Polit-Thriller halten. Verfasst haben ihn jedoch Martin Heidemanns und Niolaus Harbusch, die als investigative Journalisten mit ihren langwierigen intensiven Recherchen die Machenschaften aufDeckten, die Bundespräsident Christian Wulff nach nur 598 Tagen im Amt zum Rücktritt zwangen.

Hier schildern sie nun bis zum Sachstand 6. November 2012, wie sie auf die Fährte dessen kamen, was volkstümlich die für den ehemals so beliebten CDU-Politiker wenig schmeichelhafte Bezeichnung "Schnäppchenaffäre" erhielt. Wenn ihr Medium auch die für seriöse Berichterstattung nicht eben berühmte BILD-Zeitung war, so wurden Qualität und Glaubwürdigkeit dieser Recherche immerhin mit dem Henri-Nannen-Preis bedacht, der höchsten Auszeichnung des deutschen Journalismus.

"Dass Christian Wulff nach quälend langen Versuchen, sich ans Amt zu krallen, doch noch gegen Joachim Gauck ausgewechselt wurde, ist nicht zuletzt zwei Journalisten zu danken, die ihre Profession ernst nahmen und hartnäckig die Verfehlungen des vielfach vorteilsnehmenden Ex-Präsidenten verfolgten", schrieb dazu der Publizist Tilman Jens in der Tageszeitung "Die Welt". Doch die beiden so Geehrten zählen in ihrem Buch nicht einfach nur nochmal auf, was sie über die Affäre veröffentlichten, denn auch nach dem Rücktritt Wulffs führten ihre Recherchen unter anderem zu vielen Gesprächen mit ehemaligen Weggefährten und Freunden Wulffs. Vor allem aber beklamen sie Einsicht in bis dahin unbekannte Dokumente, darunter viel Korrespondenz.

Wenn der Untertitel des Buches dann lautet "Bundespräsident für 598 Tage - Die Geschichte eines Scheitern", stellt sich die Frage, wie aus dem so ehrpusseligen und vielfach als "Lieblingsschwiegersohn" bezeichneten Wulff so offensichtlich ein Mensch wurde, der diese maßlose Mitnahmementalität entwickeln konnte. Die Journalisten verweisen auf den unübersehbaren Koordinatenwechsel im Leben des bis dahin bis zur Spießigkeit seriösen niedersächsischen Ministerpräsidenten, als er 2006 seine langjährige Ehefrau verließ und die junge Bettina Körner als neue Lebensgefährtin vorstellte.

Trotz eines beachtlichen Einkommens lebte Wulff nun offenbar über seine Verhältnisse und es kam - vermutlich wegen der wirtschaftlichen Folgen der nach außen hin dezent erfolgten Scheidung - zu solchen Engpässen, dass er wegen des Hauskaufs ein Privatdarlehen aufnahm. Die Verheimlichung der wahren Hintergründe vor dem niedersächsischen Landtag war es schließlich, die die beiden Journalisten neugierig machte. Doch es waren am Ende andere von ihnen aufgedeckte Ungereimtheiten, die schließlich zu staatsanwaltlichen Ermittlungen und infolge deren Ankündigung zum Rücktritt führten.

Manches ruft Kopfschütteln hervor, wenn Wulff zum Beispiel seinen langjährigen Adlatus Olaf Glaeseker (Zitat Wulff: "mein siamesischer Zwilling") nach Ausbruch der Affäre kommentarlos aus seinem Amt im Bundespräsidialamt entlässt und hinterher über beider Wirken sogar erwiesenermaßen lügt. Ohnehin haben die Rechercheure etliche Lügen- und Verschleierungsgeschichten zu bieten wie jene um Wulffs Lufthansa-Kreditkarte, mit der er durch Bonusmeilen seit Ende der 80er Jahre Upgrades bei seinen Privatflügen beglichen haben will. Tatsächlich aber gibt es diese Kreditkarte erst seit 1999.

Ebenso treuherzig wie dreist aber liest sich auch so mancher Rechtfertigungsversuch Wulffs wie zu jenem teuren Besuch als Ministerpräsident beim Deutschen Filmball in München, den er sich vom Marmeladen-Hersteller Zentiss bezahlen ließ: "Meine Frau wollte schon immer mal zum Filmball." Und so wie Heidemanns und Harbusch mit ihren Veröffentlichungen für Wulffs Sturz aus großer Fallhöhe sorgten, so vernichtend fällt auch das Fazit ihrer Arbeit aus: "Die Glaubwürdigkeit unseres ehemaligen Staatsoberhauptes wird durch das Ergebnis unserer Recherchen nicht gestärkt."

Der Originaltext jenes haarsträubenden Anrufs Wulffs auf die Mailbox von BILD-Chefredakteur Kai Diekmann, mit der Wulff seinerzeit den Auftaktbericht über die Kredit-Affäre unterdrücken wollte, ist übrigens nicht aufgeführt. Der Verlag hatte erklärt, darauf zu verzichten und er hält sich daran. Aber auch ohne diesen Angriffsversuch des ausrastenden Stzaatsoberhaupts auf die Pressefreiheit ist dies nicht nur ein spannendes Buch über eine reale Polit-Affäre, es offenbart auch die Wichtigkeit und Wirkungsfähigkeit einer seriösen Presse in einer funktionierenden Demokratie.

# Martin Heidemanns/Nikolaus Harbusch: Affäre Wulff. Bundespräsident für 598 Tage - Die Geschichte eines Scheiterns; 336 Seiten; Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag, Berlin; € 19,95

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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