JONATHAN STEINBERG: "BISMARCK - MAGIER DER MACHT"

Zu Otto von Bismarck (1815-1898) gibt es etliche, teils hervorragende Biographien. Gleichwohl legt der amerikanische Historiker Jonathan Steinberg nun eine Biographie vor, die durchaus eine Besonderheit bietet, denn sein Ansatz fragt weniger danach, was Bismarck getan hat, sondern vielmehr, wie er es machte.

"Bismarck - Magier der Macht" lautet der Titel und Steinberg, als Professor für Neuere Europäische Geschichte an der University of Pennsylvania ein Experte für die deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, macht zumindest zu Beginn seines Werkes wenig Hehl aus seiner Bewunderung für den Eisernen Kanzler. Dieser habe weder eine besondere Ausbildung noch eine nennenswerte Karriere vor dem Einstieg in die diplomatische und dann politische Laufbahn gehabt.

Doch auch zu seinen besten Zeiten habe Bismarck ja nie tatsächlich Macht besessen und wäre jederzeit von seinem jeweiligen Herrscher abberufbar gewesen. Es sei sein "außergewöhnliches, gigantisches Selbst" gewesen, das seine enorme Durchsetzungs- und Gestaltungskraft ermöglicht habe. Der Historiker bewertet diese machtbewusste Souveränität als eine geradezu dämonische Kraft, die ihn 28 Jahre lang an den Schalthebeln der politischen Macht in Preußen-Deutschland hielt.

Steinberg stuft den meisterhaften außenpolitischen Jongleur und rücksichtslosen Innenpolitiker als den größten Staatsmann der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein. Sein Erklärungsansatz aber ist das Besondere an dieser umfangreichen Untersuchung dieses Virtuosen voller Widersprüche, die großenteils bis heute unauflöslich geblieben sind. Der Historiker erklärt Bismarck nicht aus dessen Sicht sondern ganz wesentlich in seiner Außenwirkung auf Zeitgenossen, seien sie Freunde oder Gegner.

Rund ein Drittel der gesamten Biographie besteht aus Zitaten von Menschen, die Bismarck persönlich kannten, und ganz wesentlich sind deren Zeugnisse zum Beispiel in Briefen unmittelbar aus dem jeweiligen Zeitkontext heraus entstanden. Aber auch Bismarcks viele und oft sehr aufschlussreiche Briefe und Aufzeichnungen bis hin zu dessen Memoiren unterzog Steinberg einer intensiven Recherche. Hinzu kamen amtliche Akten, Protokolle und zahlreiche wenig bekannte Zeitungsausschnitte.

In geradezu psychoanalytischer Weise durchleuchtete der Experte Charakter und Geisteszustand des preußischen Junkers, den er als einen Mann ohne Prinzipien enttarnt, der mit einer beinah schizophren wirkenden Mischung aus Liebenswürdigkeit und Zynismus, aus dünkelhafter Menschenverachtung, Rachsucht und Selbstmitleid bis hin zum Verfolgungswahn bei gleichzeitiger Fähigkeit zu gewinnendem Charme in sich völlig widersprüchlich erscheint.

Entlang der Vita Bismarcks mit Aufstieg, virtuoser Machtausübung und dem Fall schildert der Biograph aber auch die wesentlichen Züge der komplexen Außen- und Innenpolitik dieser Ära, die der Reichsgründer wie kein anderer formte und prägte, und er tut es auf ebenso unterhaltsame wie anschauliche Weise. Tatsächlich bereichert diese Biographie die Sicht auf den immer wieder rätselhaften "Eisernen Kanzler" durch die spezielle Herangehensmethode enorm.

Lediglich die wiederholten Ansätze, Bismarck mit Hitler zu vergleichen oder ihm eine Mitschuld an dessen Aufstieg zu geben, gehen weitgehend fehl. Gleichwohl mag man dem langjährigen großen Staatsmann Henry Kissinger zustimmen, wenn er Steinbergs Werk als die beste Bismarck-Biographie in englischer Sprache einstuft.

 

# Jonathan Steinberg: Bismarck - Magier der Macht (aus dem Amerikanischen von Klaus-Dieter Schmidt); 745 Seiten; Propyläen Verlag,. Berlin; € 29,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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