VIRGINIA WOOLF: "AUGENBLICKE DES DASEINS"

Virginia Woolf (1882-1941) hinterließ außer ihren Tagebüchern und Briefen auch einige Memoiren, die nicht für eine Veröffentlichung gedacht waren. Um so hinreißender sind diese Fundstücke, die Klaus Reichert im Rahmen der großen Werkausgabe dieser stilprägenden Autorin als "Autobiographische Skizzen - so der Untertitel - herausgebracht hat.

"Augenblicke des Daseins" lautet der Titel und diese Aufzeichnungen beginnen mit Reminiszenzen von 1907. Die 25-Jährige hieß da noch Virginia Stephen und war noch längst nicht als Schriftstellerin hervorgetreten. Noch fehlt im Schreiben die legendäre Souveranität, doch bereits hier ist ihre berühmte Unmittelbarkeit und analytische Gabe zu erahnen. Und sie lässt die Virtuosität anklingen, mit der sie Stimmungen und Bilder von mal dunkler Kraft und mal von luzidem Glanz zu formulieren verstand.

Auch auf den legendären Freundeskreis der "Bloomsbury Group" geht sie ein und es funkelt, wenn sie von dieser außergewöhnlichen Ansammlung von unkonventionellen Künstlern und Schriftstellern berichtet, die das Denken und Schaffen Virginia Woolfs so entscheidend mit beeinflusste. Immer wieder psychisch bedroht von den Schatten der Kindheit und Jugend mit frühen Verlusten wie dem der geliebten Mutter, der Stiefschwester oder des Vaters, hält die vibrierend Sensible in ihrem letzten und längsten Text unter dem Titel "Skizze der Vergangenheit" mit analytischer Genauigkeit diese düsteren Erinnerungen fest.

Die Stimmung dieser letzten Aufzeichnung ist durchsetzt von den Ängsten im frühen Zweiten Weltkrieg, insbesondere der vor einer drohenden Invasion der Deutschen. Ihr Mann Leonard Woolf ist Jude und beide haben sich bereits Gift für den Notfall besorgt. Sehr konkrete Ereignisse, die die Befürchtungen bestärken, sind in Fußnoten aus den Tagebüchern angefügt. Diese inhaltlich wie stilistisch jetzt längst gewohnt brillanten Ausführungen enden vier Monate vor ihrem Freitod im November 1941, den sie aus Angst vor einem erneuten Wahnsinnsschub suchte.

Fazit: ein ebenso faszinierendes wie erhellendes Fundstück aus dem grandiosen Schaffen dieser einzigartigen Autorin. Das ist nicht nur wunderbar zu lesen, es offenbart auch Einblicke in das Denken und Empfinden der Künstlerin. Ein besonderes Lob gebührt im Übrigen der Übersetzung von Brigitte Walitzek.

# Virginia Woolf: Augenblicke des Daseins. Autobiographische Skizzen (aus dem Englischen von Brigitte Walitzek); 253 Seiten; S. Fischer Verlag, Frankfurt; € 26

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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