JONATHAN PHILLIPS: "HEILIGER KRIEG"

Der Begriff des Heiligen Krieges - oder im Arabischen "Dschihad" - hat insbesondere seit solchen Überzeugungstätern wie Osama bin Laden und George W. Bush eine unheilvolle Aktualisierung erfahren. Wie seinerzeit die Kreuzzüge zu barbarischen Gemetzeln in Gottes Namen führten und sich dies in der Gegenwart durchaus in gewisser Form wiederholt, beschreibt Jonathan Phillips in seinem großartigen Sachbuch "Heiliger Krieg. Eine neue Geschichte der Kreuzzüge".

Phillips gehört als Professor für die Geschichte der Kreuzzüge am Royal Holloway College der Universität London zu den renommiertesten Experten zum Thema. Fern jeglicher Klischees und Verklärungen edlen Rittertums in Literatur und Film beschreibt er ebenso sachlich wie lebendig das Aufkommen, das Wesen und die Auswirkung der sieben offiziellen Kreuzzüge von 1096 bis 1270, aber auch jenes katastrophalen Kinder-Kreuzzuges und solcher, die nicht das Heilige Land im Fokus hatten wie die der christlichen Reconquista in Spanien oder den Vernichtungszug gegen die Katharer - hier also sogar gegen Christen, wenngleich Abweichler.

Der Auftakt im Jahre 1095, als Papst Urban II. den Heiligen Krieg mit dem Ziel der Befgreiung Jerusalems von den "Heiden" als einigkeitsstiftendes Projekt im zersplitterten westlichen Europa ausrief, propagierte den Kreuzzug als eine Art Pilgerfahrt mit dem Schwert zu Ehren Gottes. Urban II. war nicht nur ein Meister der Proppaganda, mit der er für seine Idee warb, längerfristig gesehen war es eine der genialsten Ideen der römischen Kirche überhaupt, denn der einigende Grundgedanke und die über 200 Jahre folgenden christlichen Kreuzzüge unter Leitung der einst so schwer zu bändigenden Ritter konsolidierten die Macht des Heiligen Stuhls zum lange Zeit maßgeblichen Machtfaktor in Europa und weit darüber hinaus.

Phillips folgt der Chronologie der Ereignisse, eröffnet dabei aber auch den Blick auf die konkreten Umstände dieser Züge bis zum fast 5000 Kilometer entfernten Jerusalem, die vielen widrigen Umstände im Umfeld bis hin zu den großenteils höchst blutigen Schlachten. Er bringt zur Objektivität der Fakten auch muslimische Quellen ein und nicht nur die zeigen die barbarischen Exzesse auf, die immer wieder gerade auch unter christlichem Aspekt und unter dem Rubrum des "gerechten Krieges" begangen wurden. Was aus Sicht der Kreuzfahrer sogar zur festen Überzeugung gehörte, denn auch Massenmord und grausames Gemetzel gegen Frauen und Kinder geschahen ja im Dienste Gottes und die Päpste hatten schließlich versichert, dass für jegliches Mitstreiten in der heiligen Sache als Belohnung die sündige Seele vor dem Fegefeuer bewahrt werde.

Der Autor kehrt die unfassbaren Widersprüche dieser besonders im 12. und 13. Jahrhundert in der gesamten christlichen Welt auf breite Akzeptanz stoßenden christlichen Heerzüge hervor. Dazu wurden von interessierter Seite sämtliche auch unbedeutsamen Konflikte mit den Muslimen ebenso aufgebauscht wie all die konfessionellen und kulturellen Gegensätze. Im letzten Kapitel geht der Experte aber auch auf die furchterregende Geisteshaltung wiedererstandener Kreuzzugspropagandisten ein wie auch auf den Nährboden für den arabischen Nationalismus und Terrorismus daraus.

Mit seinem eleganten Stil hat Phillips hier ein umfassendes und anschauliches Standardwerk auf feinstem Niveau geschaffen, das weit zurückblickt und doch ungeheuer aktuell ist. Damit ist das grandiose Sachbuch nicht nur ein sehr erhellendes Geschichtsbuch sondern auch ein Werk von hoher politischer Aussagekraft.

 

# Jonathan Phillips: Heiliger Krieg. Eine neue Geschichte der Kreuzzüge (aus dem Englischen von Norbert Juraschitz); 640 Seiten, div. Abb.; Deutsche Verlagsanstalt, München; € 29,99

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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