MARK SEAL: "DER MANN, DER ROCKEFELLER WAR"

Als das FBI Clark Rockefeller im Sommer 2008 verhaftete, weil er seine eigene siebenjährige Tochter entführt hatte, konnten die Beamten es einfach nicht fassen: es gab keinerlei Beweise für seine Existenz! Erst vor Gericht schälte sich Stück für Stück eine unglaubliche Hochstaplerkarriere heraus.

Der erfahrene Biograph Mark Seal hat die einzigartige Geschichte nachrecherchiert und dafür Original-Dokumente untersucht und rund 200 Zeugen interviewt. Das Ergebnis trägt den Titel "Der Mann, der Rockefeller war" und der Untertitel lässt noch mehr staunen: "Aufstieg und Fall eines bayerischen Hochstaplers". Tatsächlich stammt Clark Rockefeller aus einem niederbayerischen Dorf, wo er 1961 als Christian Karl Gerhartsreiter geboren wurde. Als 17-Jähriger reiste er als vorgeblicher Austausch-Student in die USA ein, schlug sich jedoch von Beginn an mit allerlei Lügen durch, ohne jede Absicht einer Heimkehr.

Am Tag vor seinem 20. Geburtstag gelang es ihm in Wisconsin, eine junge Frau zur Eheschließung zu überreden, um eine Green Card zu erlangen. Vereinbarungsgemäß setzte er sich am Tag danach ab und es begann ein irrer Karriereweg, wie er vermutlich nur in den USA möglich ist. Hatte er die bisherige Anlaufzeit noch für das Aufsaugen von viel Wissen und Attitüden genutzt, wechselte er nun von einer Identität in die nächste. Dafür war Kalifornien ein ideales Feld für den Einstieg, allerdings ging er nicht nach Hollywood, obwohl er sich auch als Filmstudent und ähnliches ausgab.

Es war ein cleverer Schachzug, ins superreiche Städtchen San Marino zu gehen und seine Methode ging voll auf: je größer die Lüge, desto glaubhafter wirkt sie. Und der schmächtige Charmeur mit dem einnehmenden Wesen und der genialen Gabe zur Manipulation trumpfte gleich mächtig auf als Christopher Chichester. Ganz dezent war auf seiner Visitenkarte ein "Bt" aufgedruckt und er war nicht nur der 13. Baronet dieser Adelsfamilie, er fügte als Mittelnamen auch noch ein "Mountbatten" ein als Verwandter dieses noch edleren britischen Clans.

Immer wieder betörte er Frauen, wechselte Namen und angeblich hochrangige Berufsausübungen, um schließlich als Clark Rockefeller den Gipfel zu erklimmen. Als Hintergrund spielten da Studienzeiten an der Elite-Universität Yale - als Sonderbegabter bereits ab 14! - und diverse Mitgliedschaften in den feinsten Clubs eine wichtige Rolle. Zu denen war der Name Rockefeller als einer der vornehmsten und reichsten Familien Amerikas ein durchweg funktionierender Türöffner. Da half ein angemessen exzentrisches Gebaren ebenso wie zum Beispiel eine lässig im New Yorker Nobel-Appartment gebunkerte Kunstsammlung im Wert hunderter Millionen Dollar. Wie sich später herausstellte, ausnahmslos Fälschungen.

Der größte und unfassbarste Coup dieses Chamäleons mit der blitzschnellen Auffassungsgabe aber sollte seine zweite Ehe werden. Sandra Boss lernte er eher zufällig kennen, becircte sie jedoch umgehend gekonnt und vor allem erfolgreich. Dabei war diese recht attraktive 26-Jährige eine hochintelligente Geschäftsfrau: Absolventin der Harvard Business School und Junior-Partnerin bei McKinsey & Company mit siebenstelligem Jahresgehalt. Schier unglaubliche 14 Jahre schaffte es Clark Rockefeller, dieser smarten Managerin die falsche Identität vorzuspielen, quasi ausschließlich und sehr großzügig von ihrem Geld zu leben und ein munteres gesellschaftliches Leben zu führen.

Als die Gattin schließlich auf eine Ungereimtheit zu viel stieß, reichte sie die Scheidung ein. Erst jetzt kam sein brillantes Illusionstheater ins Schwanken und er rotierte teils recht hilflos. Dabei fand der von Sandra eingeschaltete Privatdetektiv zweierlei Unfassbarkeiten heraus: zum Einen gab es keinerlei Unterlagen zu Clark Rockefeller vor der Hochzeit und der Gauner hatte sich beim Steuerberater als ihr Bruder ausgegeben mit der fatalen Folge, dass die Großverdinerin als Alleinverdinerin versteuert wurde.

Doch selbst die Scheidung konnte Rockefeller noch relativ glimpflich gestalten, so dass ihm die Ex sogar noch 800.000 Dollar Abfindung zahlen musste. Dennoch läutete es das endgültige Aus ein, denn sie entzog ihm nicht nur das Sorgerecht für Tochter Reigh, sie zog sogar mit ihr nach London. Nun hing der Hochstapler aber mit Inbrunst an dem einzig Echten in seinem Leben und so entführte er das Kind beim ersten der seltenen und nur unter Aufsicht gestatteten Besuchstermine. Als es dann zum Prozess kam, war Clark Rockefellers Geschichte natürlich eine absolute Sensation und 2010 wurde sogar ein Film über den Fall gedreht.

Wenn dem beinahe genialen Hochstapler trotz allem dazu gelieferten Beiwerk die Rolle als Publikumsheld nun abhanden gekommen ist, liegt das an dem Gerichtsverfahren, das 2011 gegen ihn eröffnet wurde - eine Mordanklage! Auf seinem Weg über San Marino in die hohe Gesellschaft soll er den Schwiegersohn seiner Vermieterin umgebracht haben, die Beweislast soll groß sein. Und wenn man diesen fesselnden Roman mit seinen immer neuen Volten genossen hat, glaubt man kaum, dass dies alles eben keine Erfindung sondern intensiv recherchierte Realität war, echte Fotos inklusive.

 

# Mark Seal: Der Mann, der Rockefeller war. Aufstieg und Fall eines bayerischen Hochstaplers (aus dem Amerikanischen von Ingo Wagener); 447 Seiten, div. Abb., Klappenbroschur; btb Verlag, München;

€ 14,99

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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