JOYCE CAROL OATES: "MEINE ZEIT DER TRAUER"

Über 60 Romane und vieles mehr hat Joyce Carol Oates bisher veröffentlicht und seit langem gilt die US-Autorin als Anwärterin auf den Nobelpreis. Ein solch persönliches Buch wie das jüngste aber hat sie noch nie vorgelegt, doch der Titel "Meine Zeit der Trauer" verrät bereits, worum es geht: im Februar 2008 starb ihr Ehemann Raymond J. Smith.

Wegen einer Lungenentzündung hatte sie ihn ins Krankenhaus gebracht und die Nächte an seiner Seite verbracht. Als er die Entlassung erwartete, fuhr sie für eine Nacht nach Hause. Dort ereilte sie im Schlaf der Anruf, sein Zustand habe sich plötzlich verschlechtert. Als sie wieder ins Krankenhaus eilt, ist er bereits verstorben. Dieser schockierende Tod stürzt die 70-jährige Witwe in ein Meer von Trauer und Verwirrung und fassungslos erkennt sie, wie sehr ihr Mann über nunmehr 47 Jahre und 25 Tage ihr Hüter und Beschützer war.

In all dieser Zeit waren die Erfolgsautorin und der Literaturprofessor nie mehr als zwei, drei Tage getrennt gewesen und auch das nur wenn es sich aus beruflichen Gründen nicht vermeiden ließ. Sie hatten keine Kinder, um so intensiver waren sie früeinander der einzige Grund zum Leben. Mitten aus dieser Zeit der Fassungslosigkeit, aus einer Orientierungslosigkeit, die sie einige Male an Selbstmord denken lässt und die später eine schwere Form der Gürtelrose auslöst, schrieb sie dieses sehr offene autobiographische Buch.

Präzise gibt sie tiefe Einblicke in die Erschütterungen, die ihr Denken und Fühlen zu überrollen drohen und eines der beklemmenden Bekenntnisse lautete: "Es ist egal, wo ich bin, ich bin jetzt heimatlos." Doch der großen Schriftstellerin, deren Romane im völligen Gegensatz zu ihrer langen harmonischen Ehe immer wieder faszinierende wie glaubhafte zwischenmenschliche Katastrophen in den Mittelpunkt stellen, gelingt es, ihre ganz persönliche Katastrophe ebenso frei von Sentimentalität und Larmoyanz zu schildern.

Das quälende Gefühl der Einsamkeit und Sinnlosigkeit, der Zorn auf sich selbst, weil sie Ray nicht in einer bessere Klinik gebracht hat, das nächtelange Wachliegen trotz Schlafmitteln und Antidepressiva - all das und noch viel mehr breitet sie klug und dabei dennoch sehr bewegend aus. Zugleich entstanden dabei Passagen der Selbstironie in dieser Mischung aus Tagebuch, Briefen und E-Mails vieler Freunde und manchen Episoden aus einer Zweisamkeit in inniger Liebe und Freundschaft. Dies ist nicht das erste autobiografische Werk einer trauernden Witwe, hier jedoch aus der Krisenzeit heraus verfasst von einer der größten zeitgenössischen Autorinnen mit allen Qualitäten ihres Schaffens.

 

# Joyce Carol Oates: Meine Zeit der Trauer (aus dem Amerikanischen von Silvia Morawetz); 495 Seiten; S. Fischer Verlag, Frankfurt;

€ 24,95

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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