BETH REVIS: "GODSPEED - DIE REISE BEGINNT"

Einen ScienceFiction-Roman für junge Menschen, die für dieses Genre an sich wenig übrig haben, wollte US-Autorin Beth Revis schreiben. Um es vorwegzunehmen: daraus wurde eine Trilogie und gleich der Auftakt ist nicht weniger als außergwöhnlich und anspruchsvoll geraten und dabei von der Art, dass man sich sich bald schon rettungslos festliest.

"Godspeed. Die Reise beginnt" lautet der Titel und eingangs wird beschrieben, wie dieses riesenhafte Raumschiff "Godspeed" - etwa im Jahr 2036 - startklar gemacht wird. 300 Jahre wird es unterwegs sein, um dann die Zentauri-Erde mit seiner menschlichen Fracht zu besiedeln. Für die Reisezeit werden gut 100 Biologen, Gentechniker, Militärs und andere Spezialisten in den Kryotiefschlaf versetzt. Zu ihnen gehören auch die Eltern der 17-jährigen Amy, die als einzige als gewissermaßen "bedeutungslose" Fracht eine der Kühlboxen belegen darf.

Doch etwas Unvorhergesehenes passiert ausgerechnet mit ihrer Box Nummer 42: fast genau 50 Jahr vor der Ankunftszeit schaltet jemand an Bord auf Entfrosten und die entsetzte Amy überlebt den Vorgang nur knapp. Und gerät in eine gänzlich veränderte Gesellschaftsform in diesem geschlossenen Kosmos an Bord des Raumschiffes. Zugleich lernt der Leser den 16-jährigen Junior kennen, der einst den Ältesten als Regent der "Godspeed" ablösen soll. Der despotische Alte ist unter der Last der Verantwortung früh weißhaarig geworden, herrscht jedoch weiter mit eiserner Hand.

Während die Spezialisten auf dem Technikerdeck das Schiff steuern, steuert der Älteste vom Regentendeck aus die aktuell über 2000 Menschen an Bord, die überwiegend das Versorgerdeck bevölkern und dort ihrer hauptsächlich landwirtschaftlichen Arbeit nachgehen. Dabei schaffen die nun abwechselnd von Junior und von Amy geschilderten Geschehnisse eine von lückenhaftem Wissen und Ahnungen, die immer wieder ad absurdum geführt werden, geprägte hochgespannte Athmosphäre.

Junior spürt ein ums andere Mal, dass ihm der Älteste bei allem, was er ihm für die die spätere Herrschaft beibringt, Wichtiges verschweigt. Auf jeden Fall lernt er, dass die Ursachen für Unfrieden systematisch abgeschafft wurden - es gibt nur noch eine Mischrasse sehr gleich aussehender Menschen und weder Religion noch Ideologie. Erst durch den intensiven Kontakt zu Amy - die ansonsten mit ihrer hellen Haut und den roten Haaren als "Freak" angesehen und sogar angefeindet wird - begreift Junior den dritten, hier ausgemerzten Grund für Unzufriedenheit: individuelles Denken.

Amy mit ihrem noch von der Erdzeit geprägten unverstellten Blick für die Dinge empfindet es als aberwitzig, dass vor allem die emoionslos und stoisch vor sich hinlebenden Menschen im Versorgerdeck als normal gelten, wogegen die wenigen Personen mit Sonderrollen und eigenem Denken wie der undurchsichtige Doc oder der eher kauzige Maler Harvey ebenso als verrückt gelten wie sie selbst. Geradezu irre und für sie sogar mit einem üblen Erlebhnis verbunden erweist sich dann die Paarungszeit, denn ebenso ungeniert wie gefühlsfrei findet ein allgemeines Kopulieren statt.

Wie Junior vom Ältesten erfährt, wurde diese je Generation einmal initiierte Vermehrungsaktion nach einer schweren Seuche eingeführt, die seinerzeit drei Viertel der Besatzung dahinraffte. Wie allmählich herauskommt, wurde damals auch die Demokratie gegen das jetzige faschistoide Führungsprinzip ausgetauscht. Doch der Älteste herrscht nicht mit Peitsche oder unmittelbarer Gewalt sondern mit chemischer und Genmanipulation.

Amy aber entdeckt noch weit schlimmere Geheimnisse, vor allem jedoch schlägt der mysteriöse Täter erneut zu und bei weiteren Abschaltungen von Kryoboxen gibt es erste Tote. Auch Junior ahnt längst, dass der Älteste nicht nur ein undurchsichtiges finsteres Spiel treibt, sondern offenbar ein ungeahnt großer Teil des gesamten Systems an Bord auf Lügen beruht. Der unnahbare Tyrann hat allerdings stets ganz und gar triftige Gründe für sein Handeln und die umfassende Manipulation aller an Bord. Schließlich kommt eines der schockierendsten Geheimnisse ans Licht und für Junior und Amy sellt sich nun die verzweifelte Frage, was sie gegen diesen Aberwitz unternehmen können.

Die ebenso beklemmende wie faszinierende dystopische Geschichte steuert auf ein furioses Finale zu, das zugleich genug offen lässt für die Fortsetzung, die Mitte 2012 erscheinen soll. Die besondere Güteklasse des Romans liegt dabei nicht nur in dem meisterhaft komponierten geschlossenen Raum, in dem sich das Alles bewegt, vielmehr sind hier auch viele moralische und ethische Grundfragen eingewoben, die "Godspeed" über virtuose Unterhaltungslektüre weit herausheben.

Fazit: schon dieser grandiose Auftakt der Trilogie hat das Zeug zum Klassiker als Gesellschaftsroman und der ist für Erwachsene ein eben solch großes Lesevergnügen wie für die Zielgruppe der Teenager.

 

# Beth Revis: Godspeed - Die Reise beginnt (aus dem Amerikanischen von Simone Wiemken); 445 Seiten; Cecilie Dressler Verlag, Hamburg;

€ 19,95

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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