MARIO VARGAS LLOSA: "DER TRAUM DES KELTEN"

Moralist, Idealist, Freiheitskämpfer und Landesverrätter, hochverehrt, geadelt, verfemt und hingerichtet - all das war Roger Casement (1864-1916), und dennoch ist er fast vergessen. Nun endlich erhält der einst umjubelte Aufklärer über die grausamen Auswüchse des Kolonialismus ein literarisches Denkmal.

Kein Geringerer als der peruanische Literatur-Nobelpreisträger von 2010 Mario Vargas Llosa würdigt Casement mit seinem biografischen Roman "Der Traum des Kelten". Das war auch der Titel eines Versepos des in Irland geborenen Briten über die mythische Vergangenheit der grünen Insel, für die er nach gravierenden Erfahrungen in Afrika sein Herz entdeckt hatte.

Nach ersten Aufenthalten in verschiedenen afrikanischen Ländern - u.a. mit dem berühmt-berüchtigten Abenteurer Henry Morton Stanley - wurde er von der britischen Regierung in den Kongo entsandt, um über angebliche Menschenrechtsverletzungen zu berichten. Casement wird Zeuge eines unfassbar barbarischen Regiments der Force Publique, bei dem Folter, Verstümmelungen, Vergewaltigungen und Morde an der Tagesordnung waren.

Sein 1903 veröffentlichter Report macht ihn berühmt und er wird sogar zum "Sir" ernannt. Und der Report hat Folgen, denn Belgiens König Leopold II als skrupelloser Ausbeuter des Kongo verliert 1908 den Privatbesitz an der reichen Kolonie. Doch auch bei Casement bewirkt die Kolonialismuserfahrung Entscheidendes, denn er entwickelt einen anfangs noch recht diffusen irischen Nationalismus. Zunächst aber folgt die zweite Großtat im Einsatz für Freiheit und Menschenrechte, als er von ausbeuterischen Exzessen in den Kautschukgesellschaften Lateinamerikas hört.

Mit britischer Autorität versehen reist er in den peruanischen Urwald und es bestätigt sich auf grausige Weise: "Die Reise nach Putumayo wird der angekündigte Abstieg in die Hölle." Die mit den Zeichen der Firma gebrandmarkten Arbeitssklaven werden noch unmenschlicher behandelt als jene im Kongo und zu Abertausenden willkürlich abgeschlachtet, wenn ihr Kautschuk-Ertrag nicht genügt. Das teilbritische Unternehmen will von den Auswüchsen nicht gewusst haben, hat sie aber durch die Firmenpolitik geschürt, denn die Aufseher werden nicht entlohnt sondern nach Lieferleistung bezahlt.

Casements Bericht bewirkt immerhin den Zusammenbruch der skrupellosen Gesellschaft, zugleich aber quittiert er den diplomatischen Dienst mit Hass auf das Empire und als mittlerweile glühender Nationalist: "Wir dürfen nicht zulassen, dass die Kolonialisierung den Geist der Iren so kastriert, wie sie den der Indios kastriert hat." Er wird zum unermüdlichen Aktivisten für ein freies Irland und er fordert Unabhängigkeit statt der Autonomie, die die Briten im ohnehin ständig verzögerten "Home Rule Act" zu gewähren angeblich bereit sind.

Der bei allem Engagement erschreckend naive Freiheitskämpfer wird immer militanter und seine Aktivitäten steigern sich nach dem Versuch von Waffenkäufen in den USA zu Beginn des Ersten Weltkriegs bis hin zum intensiv betriebenen aber letztlich gescheiterten Versuch, in Irland mit Hilfe des Deutschen Kaiserreichs einen Aufstand gegen die Briten in Irland anzuzetteln. Was nach seiner Gefangennahme nach dem blutig niedergeschlagenen Oster-Aufstand von 1916 völlig gesetzteskonform als Hochverrat mit dem Tod bestraft wird.

Die ganze Tragik dieses wohlmeinenden und schließlich so fehlgeleiteten Idealisten fasst Autor Vargas Llosa in diesem ganz nah an den historischen Ereignissen gehaltenen Roman in eine beklemmende dramaturgische Klammer, denn als Rahmenhandlung dienen die letzten Tage Casements im Pentonville Prison bis zur Hinrichtung. Während er noch auf eine Begnadigung hofft, da sich selbst der US-Präsident für den einst so honorigen Menschenfreund einsetzen will, betreibt der britische Geheimdienst erfolgreich eine infame Kampagne, indem er die - zu jener Zeit als Verbrechen geahndete - Homosexualität Casements anhand seiner Tagebücher offenlegt.

Vargas Llosa überzeugt mit seinem Porträt dieses tragischen Schicksals vor allem dank der klarsichtigen Nüchternheit der Schilderungen, während sich den menschlichen Abgründen die Schönheiten der exotischen Natur als um so schärferer Kontrast gegenüberstellen. Fazit: ein Stück Geschichtsunterricht mitsamt einem faszinierenden unglücklichen Helden und zugleich ein grandioses Plädoyer gegen Kolonialismus und Ausbeutung, mithin ein Meisterwerk von großer Wichtigkeit.

 

# Mario Vargas Llosa: Der Traum den Kelten (aus dem Spanischen von Angelica Ammar); 447 Seiten; Suhrkamp Verlag, Berlin; € 24,90

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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