BERND GREINER: "9/11. DER TAG, DIE ANGST, DIE FOLGEN"

Wer sich anlässlich des 10. Jahrestages der Anschläge vom 11. September 2001 über das damalige Geschehen und vor allem seine Auswirkungen objektiv und sachlich informieren will, dem sei "9/11. Der Tag, die Angst, die Folgen" von Bernd Greiner empfohlen.

Mit der nüchternen Präzision des Wissenschaftlers geht der Leiter des Arbeitsbereichs "Theorie und Geschichte der Gewalt" am Hamburger Institut für Sozialforschung ans Werk und schildert zunächst ausführlich wie ein Reporter den Verlauf der Attentate einschließlich des Funkverkehrs und der Aufzeichnungen von letzten Gesprächen von Opfern. Doch der Professor für Philosophie und Geschichte stellt auch den politischen und militärischen Vorlauf von "Nine-Eleven" dar.

Seine Analyse beruht auf soliden, zum Teil bisher noch unveröffentlichten Quellen. Dabei entlarvt er auch die vielfältigen Verschwörungstheorien als Hirngespinste. Entscheidender aber sind die allgemeinen und noch mehr die politischen Folgen der Anschläge auf das World Trade Center in New York und das Pentagon in Washington, die auf eine frisch ins Amt gekommene Regierung trafen. Die reagierte wie ein in die Enge getriebenes Raubtier - hysterisch wie die Bevölkerung und blind für die drohenden Schäden für die demokratische Verfassung.

Die Bush-Administration erklärte den "Krieg gegen Terror" und stellte bedenkenlos das Gewaltenprinzip in Frage. Der nationalen Sicherheit wurde das System wechselseitiger Kontrollen der Regierungsgewalten (Checks and Balance) unterworfen. So wurde bereits 2001 die Raster- und Schleppnetzfahndung ohne richterliche Genehmigung eingeführt. Erst 2004 lehnten sich Teile des Justizministeriums dagegen auf - mit bescheidenem Erfolg und Details wurde "klassifiziert" und damit als nichtöffentlich deklariert.

"Nationale Sicherheit" und "nationale Interessen" wurden die Keulen des Präsidenten und seiner nicht minder paranoiden Mitstreiter wie Vize Cheney und Verteidigungsminister Rumsfeld. "Ich entscheide, was für die Exekutive Gesetz ist", deklamierte Bush. Er wurde der erste US-Präsident, der mit seiner Unterschrift die alleinige Definitionsmacht über Recht und Unrecht für sich reklamierte und man nannte die dahinter stehende Geisteshaltung das "neue Denken".

Der Autor beleuchtet aber auch die Kriege im Irak und in Afghanistan samt den Gräueltaten durch das US-Militär und die skandalösen Vorgänge in den dortigen Gefängnissen (Abu Ghreib u.a.), die die Widerstände in den betroffenen Bevölkerungen weit mehr schürte als minderte. Verstieß schon das aufs Übelste gegen jene hehren Prinzipien der Demokratie, die die USA hier verteidigen und auch quasi heilsbringend durchsetzen wollten, so sind die von der Bush-Regierung wieder eingeführten Folterungen ein besonderer Schandfleck im Namen von Demokratie und Freiheit.

Anhand einer Fülle von Fakten wird belegt, dass unter George W. Bush der Respekt von internationalen Rechtsnormen (keine Folter, keine Entwürdigung von Gefangenen) im Militär sogar deutlich mehr Rückhalt genoss als unter den zivilen Amtsträgern. Doch das Unterordnen von demokratischen Rechten unter den Primat der Nationalen Sicherheit richtete sich ja auch massiv nach innen und gipfelte im sogenannten "Patriot Act". Mit diesem Gesetz wird die Gewaltenteilung offiziell aufgeweicht und sogar die Gleicheit vor dem Gesetz durch ein Sonderrecht für Ausländer ausgehebelt.

Klarsichtig und nüchtern analysiert Bernd Greiner die eklatanten Beschädigungen des Wertesystems - nicht nur in Amerika - und die noch nicht absehbaren Folgen in der übrigen Welt. Und warum auch Barack Obama so manches Versprechen der "Reparatur" noch nicht eingelöst hat. Fazit: dies Buch dürfte das Beste sein, was derzeit zu diesem Thema zu haben ist, und ebenso wichtig wie beängstigend in seinen Schlussfolgerungen.

 

# Bernd Greiner: 9/11. Der Tag, die Angst, die Folgen; 280 Seiten; C. H. Beck Verlag, München; € 19,95

WOLFGANG A. NIEMANN (wan/JULIUS)

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